Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte
dick wie möglich machen; das war der zweite Grund. Wir wollten stahlharte, schnelle Rocknummern mit Höllenlärm abliefern, in denen es vor Gitarren nur so wimmelt. Wo Gitarren und Schlagzeug einen gemeinsamen Knall ergeben, der von keinem Keyboard und keinen zusätzlichen Arrangements mit Streichern, Tubas, Waldhörnern oder kirgisischen Lauten zugekleistert wird. Rock’n’Roll ohne jede Veredlungsarie, nur das Gerüst einen entscheidenden Dreh schneller dargebracht - Punkrock eben.
Und es funktionierte! Auch wenn Trini manchmal etwas spät mit dem Fuß auf dem Pedal war, Andi öfters hörbar wegsumpfte und Breiti Temposchwankungen zeigte, rappelte sich unser Zug zu ein paar ersten Volldampfnummern auf.
Es mußte nicht alles toll klingen. Solange nur Tempo und Wahrheit in den Stücken war, stimmte die grobe Peilung; die feine würde sich von alleine finden. So entstanden »Wir sind bereit«, »Reisefieber«, »Niemandsland«, die ersten echten Marken, so gaben wir unsere frühesten Wochenend-Konzerte (Breiti, Andi und ich waren,glaube ich, alle in der Oberprima).
Es gab auch einen »Club der toten Hosen«, in den jeder Depp ohne eine Auswahl oder sonst eine Beschränkung ein-treten konnte. Paßfoto und Angabe der Hosengröße genügten. Wir schickten dann eine möglichst verschissene, total billige Hose aus der Altkleidersammlung und einen »Paß« mit vertauschtem Lichtbild zurück. Damit kam man bei unseren
Gigs dann umsonst rein. Doch der Club wuchs nicht so richtig: In unserem hirnlosen Gründerwahn hatten wir nicht bedacht, daß die meisten toten Hosen viel zu schlaff sind, um eine Postkarte zu schreiben und zum Briefkasten zu bringen. Und was genau wir anfangen sollten mit den Nasen, die beigetreten waren, darüber hatten wir uns sowieso keine Gedanken gemacht.
Ganz zu Anfang hatten wir übrigens auch den Band-Namen »Die Pariser« ins Auge gefaßt. Wir stellten es uns cool vor, in einer anderen Stadt als »Die Pariser aus Düsseldorf« angekündigt zu werden.
Das erste Konzert fand in einem Schuppen namens »Schlachthof« in Bremen statt, wo wir durch ein Versehen als »Die toten Hasen« angekündigt waren. Aber was heißt schon »angekündigt«? Es war nicht so, daß irgendwo zigtausend Plakate hingen und Trilliarden von Handzetteln kursierten. Die Leute, die kamen, hatten irgendwas von irgendwem gehört; »ZK-Nachfolge-Gruppe« war für unsere Kreise damals schon eine kleine Hausnummer, auf die es ein bißchen Kredit vorab gab. Wenn man diese Leute zusammenzählte, kam man auf eine ganz überschaubare Zahl, für die man ohne fremde Hilfe auch eine Grillparty hätte aufziehen können.
Es waren Parties, jedenfalls eher als reine Konzerte. Nie hatten wir bessere Gelegenheiten, unter dem Vörwand des Musikantentums durch die Lande zu gurken und lauter nette Leute zu treffen, denen man nachher vielleicht noch die Freundin abschwatzen konnte - wenn es denn wirklich mal keine Schwestern oder Kusinen gab. Und es waren echte Geselligkeiten in dem Sinne, daß wir uns auf eine angemessen unelegante, aber ganz eigene Art amüsierten.
Auf dem Cover unserer ersten Single sahen wir auch überhaupt nicht gut aus. Eher wie immer, nur daß die Köpfe und
Gesichter fehlen. Wir bauten uns vor einer Verladerampe des Güterbahnhofs in Mettmann auf; Andis Gesicht wird von einer rot-weißen Fußballkappe mit Schirm verdeckt. Daneben der kopflose Torso von Trini, kanariengelbe Hose, rosa Fromm’s-T-Shirt, dann ich mit meiner Patchwork-Buchse, beide an die Rampe gelehnt. Über Andis Kopf erscheinen zwei Walter-Unterschenkel, links davon sitzt Kuddel mit Stoffhose und diesen adidas-Tretern, die nie hip gewesen sind und es auch nie werden (also nicht das »Gazelle«-Mo-dell). Man weiß nicht genau, ob das als »Trash« gemeint oder einfach nur auf die normale Vorstadt-Art daneben ist. Jedenfalls prangt ein blauer Stern in der Ecke, der eher wie ein Fleck aussieht und als Gütesiegel gemeint ist. Auf ihm steht »Punkrock«, und das war auch wirklich drin.
»Wir sind bereit/Jürgen Engler gibt ’ne Party« erscheint in einer Auflage von 5000 Exemplaren im März 1982. Schon einen Monat später legen wir mit fünftausendmal »Reisefieber« nach. Die halbernste Idee war, die Charts mit immer neuen Hosen-Scheiben vollzustopfen und auf diese Art genauso lästig wie berühmt zu werden. Nachschubprobleme gab es nicht: Alle vier Stücke der beiden Singles wurden am gleichen Nachmittag, zwischen Soundcheck und Auftritt in
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