Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte
Linkshänder im Geschäft sehe.
Die Linkshändergitarre
Ich spielte also die gleichen Sachen wie alle anderen Vierzehnjährigen auf Klassenfahrt, und das war völlig in Ordnung. Es macht keinen Hippie aus dir, höchstens einen Gitarristen. Ich lernte die wichtigsten Akkorde, die gängigen Barregriffe und Zupftechniken. Die Grundlagen eben. Irgendwann hast du aber keine Lust mehr, dir selbst bei diesem ewigen Gedad-del zuzuhören. Du kriegst Flecken im Gesicht, wenn du anfängst mit »How ma-ny years...« Und dann passiert dir etwas anderes. Du drehst entweder in die klassisch-spanische Ma-nuel-de-Plata-Liga ab, mit Edelholz-Gitarren ab zweitausend Mark und wahnsinnig komplizierten Partituren, oder du fällst über die erste E-Gitarre deines Lebens.
Ich entdeckte meine, als ich mit meinen Eltern zu Besuch bei meiner Tante in Montreal war. Ich sah das Ding im Schaufenster, ein absolutes Sperrholzmodell für hundert Dollar. Aber es war dieses Gefühl: Wenn ich das da nicht kriege,geht was ganz Schlimmes kaputt. Ich bearbeitete meine Eltern, bis das Gerät, komplett mit einem Satz Bongos und Drumsticks, in meinen Händen war, und besaitete es in Düsseldorf genau anders herum. Natürlich war’s ein ordinäres Rechtshändermodell. Bald darauf kriegte ich auch noch einen Verstärker geschenkt, und nicht viel später kam der entscheidende Anruf. Es war genau die richtige Reihenfolge für ein superglattes Drehbuch, das einem keiner glaubt. Aber es war wirklich so: Erst kam die Gitarre, dann der Verstärker, dann klingelte das Telefon.
Am anderen Ende hing ein zweiter Linkshändergitarrist aus Düsseldorf, der damals bei den Bazookas spielte. Die Jungs von ZK hatten ihn gefragt, ob er einsteigen wolle; sie hatten zu der Zeit ein Mädchen an der Klampfe, das nie mitfahren wollte, wenn sie ihre Tage hatte - und das kam alle zwei Wochen vor. Der Bazookas-Mann konnte nicht, hatte aber mich empfohlen - Linkshändersolidarität. Auf einmal stand ich im Proberaum der Band, die mich im »Okie Dokie« in Neuss gerade noch richtig begeistert hatten. Ich wußte nicht viel mehr, als daß ich das Gitarrenkabel an eine Box anschließen und den Lautstärkeregler voll aufdrehen mußte. Aber nachdem mir diese zwei Dinge gelangen, krabbelten meine Finger ganz von allein über den Klampfenhals. Ich spielte mir die Scheiße aus dem Leib, um dabei zu sein, denn eines war mir sofort klar: Das ist besser als alles, was du in der Schule finden kannst!
Ich bin nicht unterdrückt worden am Rethel-Gymnasium, oder dabei behindert, irgendwas in mir zur Entfaltung zu bringen. Ich hatte nur einfach keine gute Zeit und fand den Laden voll daneben. Wie andere sagen können: »Schule war ja doch die schönste Zeit«, ist mir ein Rätsel. Ich mochte den Leistungskurs Russisch in der Oberstufe, ich habe im Sport gerne Handball gespielt, war einige Jahre in der westdeutschen Jugendauswahl. Der Rest war Mathematik und Physik und Langeweile und Sitzenbleiben in der u und noch mal Durchrobben bis zur 12 - und dann die Klassenarbeiten in den Sand setzen, für die du deine Freunde von der Band nachts in Süddeutschland verlassen hast.
Dann kommst du von irgendwoher zurück, wo du etwas gesehen und dich gut gefühlt hast, wo du die unglaublichsten Leute und Geschichten erleben durftest, setzt dich wieder ins Klassenzimmer - und merkst schon nach ein paar Minuten, daß deine Lehrer inzwischen nichts dazugelernt haben.
Nur Herr Molsberger, unser Musiklehrer, war ohne Abstriche o. k. Der hat es geschafft, einem den Stoff, den er unter die Leute bringen mußte, nicht auf ewig zu verleiden. Es wurde über Notenlehre gesprochen und über Fugen und Rondos und den ganzen Klassiksalat. Aber es gab auch Tage, da setzte sich einer von uns hinter den Flügel, und dann kam Molsberger rein, hörte sich das zur Prüfung kurz an und ließ es eine halbe Stunde lang laufen, wenn er merkte, daß es einen Wert hatte. Molsberger gab den Anstoß für die Gitarrenkonzerte mit dem Deutschlehrer; er hatte schon früher einen von den Kraftwerk-Jungs in seinen Fingern gehabt. Und an ihm lag es wenigstens zum Teil, daß wir eines Tages mit ZK, Nichts und ein paar anderen Bands in der Aula auf-treten konnten.
Aber nur einmal. Es ging dabei natürlich nicht so gesittet zu, wie wenn Richard Clayderman sein Chopin-Zeugs runterspult. Da wurden Lampen abmontiert und Stühle zerdeppert, das ergab sich einfach. Und dann kam der Direx zu mir und sagte: »Mensch, von Holst, das sind doch alles
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