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Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Titel: Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Toten Hosen
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1984, Landgericht, 12. Zivilkammer«
    Damit war Udo Langes Versuch, auf Zeit zu spielen, vereitelt. Die Firma Virgin mußte augenblicklich - und nicht erst bei einer späteren Auflage - entsprechend geänderte Cover produzieren. Der Hinweis »Zensiertes Cover« wurde selbstverständlich eine zusätzliche Verkaufshilfe für die LP - in der alten wie in der neuen Form. Und bald nach der einstweiligen Verfügung wurde den Presseunterlagen zu »Unter falscher Flagge« ein neues Photo zugefügt. Es zeigt Campino in hundeähnlicher Hockstellung vor einem Trichtergrammophon.
    Ob jemals versucht worden ist, gegen »Herrn Andreas Fre-ge« eine einstweilige Verfügung zu erwirken, in der ihm verboten wird, sich in hundeähnlicher Haltung vor ein Trichtergrammophon zu setzen (oder sich selbst »im geschäftlichen Verkehr als Gerippe darzustellen«), ist nicht bekannt.

»Meine Herren, die Garderobe ist freigegeben!«
    Die Dreharbeiten zum Video »Unter falscher Flagge«, im Auftrag dieser WDR-Sendung - kann man sowas überhaupt vergessen? Es war ein schweinisch kalter Tag im Januar 1985, Außentemperatur circa minus zwanzig Grad. Wir drehten auf der Rheinfähre zwischen Kaiserswerth und Meerbusch-Lank und spielten Piraten. Ich, Kuddel, fand, daß ein echter Pirat nicht mehr als ein Unterhemd und eine Hose tragen dürfte, auch wenn es noch so kalt ist. Wir verbrachten also Stunden auf dieser dämlichen Fähre, halbnackt oder im Rin-gel-T-Shirt, während uns die schneebedeckten Rheinauen bei Kaiserswerth anglotzten, und waren überhaupt nicht in der Stimmung, uns wie Piraten zu benehmen. Aber irgendwer sagte, so sei das eben mit der Schauspielerei: Du müßtest ständig Dinge tun, die du ohne einen Regisseur im Nacken nie im Leben machen würdest.
    Das Video wurde ausgestrahlt, der WDR war erneut geentert. Das Jahr fing gut an. Gerade war unsere zweite LP veröffentlicht worden, auch unter dem Titel »Unter falscher Flagge«. Es zeigte sich schnell, daß Jochen mit seiner derben Ansage zu den »Marktchancen« der Platte daneben lag. Als unser Manager die fertig abgemischten Bänder gehört hatte, sagte er: »Wer soll denn diese Scheiße kaufen?« Dann aber gingen in diesem Jahr insgesamt etwa 25.000 Exemplare davon weg. Das war für eine halbwegs große Firma wie Virgin nicht der große Knüller, aber auch alles andere als ein Flop. Das Jahr fing wirklich gut an.
    Es ist nicht leicht, nach einer gelungenen ersten Platte etwas nachzulegen, das den Leuten ein zweites Mal die Schuhe auszieht. Der Bonus der Überraschung-aus-dem-Nichts, des Insider-Tips, war aufgebraucht. Es gab immer noch keine tollen Produktionsbedingungen oder Vorschüsse, aber wir hatten berechtigte Hoffnungen, die Kosten für die dreizehn Tage im Kölner Mascot-Studio wieder einzufahren. Niemand mußte mittendrin Plakate kleistern gehen oder wegen anderer Nebenjobs verschwinden. Jeden Nachmittag, wenn Campi und Breiti Schicht in der Grafenberger Anstalt gehabt hatten, legten wir bis in die Nacht rein los. »Liebesspieler«, »Der Abt von Andechs«, »Der Mord an Vicky Morgan«, »Sekt oder Selters« dreizehn Songs insgesamt wurden in ebenso vielen Tagen eingespielt, ein scharfes Tempo. Sogar ein Abstecher von Andi und Breiti zu Heinz Paetsch, dem großen Märchenerzähler aus Radiosendungen, war in der Zeit noch drin (zu hören in der Einleitung des Titelstücks). So war’s okay - wir wollten unser Zeug so schnell wie möglich aufTonband pappen, um bloß nicht zuviel rumzufeilen und zu schnitzen. »Kick and rush«, wie die Fußballer in der Band sagen.
    Aber Fußball-Metaphern sind nicht meine Stärke. Ich habe Handball gespielt und verstehe nicht, wie man einen Ball mit Füßen treten kann. Diese Kurzturniere auf Autobahn-Raststätten, gleich nach der Pinkelpause, sind für mich bis heute eine Qual. Vielleicht stimmt es, daß eine große Stadt wie Düsseldorf einen guten Erstliga-Club haben sollte, aber ich bringe mich nicht um, wenn die Fortuna wieder siebenmal hintereinander absteigt.
    Wir lagen richtig. Die meisten Kritiker hissten sofort weiße Flaggen, als sie die Andrucke und Demo-Tapes erhielten. »Musik-Express/Sounds« wählte unser Werk zur »Platte des Monats«, die »Spex« ging endlich auf angemessene 63 Zeilen. Selbst der Berufsjugendliche aus dem Kulturressort der ansässigen »Rheinischen Post« durfte in unserem Fall mal etwas Längeres aufsetzen (»Charakter des Archaischen... Geflirr der Gitarren... Asphalt-Lyrik von heute...«). Hier und da

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