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Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Titel: Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Toten Hosen
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mit ein paar Leuten von dort drei Bier trinken waren - und nicht dreiundzwanzig? Und wer will wirklich wissen, was für ein Bild des Jammers jeder von uns manchmal abgibt, wenn wir nicht auf Tournee oder im Studio oder in sonst einer Situation sind, die uns Sinn und Bedeutung verleiht?
    Wenigstens fünf Monate im Jahr haben wir immer damit verbracht, zu Hause zu sitzen und, oberflächlich betrachtet, zu »entspannen«, während wir tief im Innern alle dem Tag entgegenfieberten, wo es wieder losgehen würde. Am Ende einer längeren Anspannung hast du dich jedesmal auf die Wochen danach gefreut, wo du wieder Zeit haben würdest für dich selbst und ein paar Freunde oder die Freundin. Und fast genauso oft war es dann längst nicht so großartig, wie man sich das zuerst vorgestellt hatte.
    Trini hockte nach unserer Tumult-Tour wieder auf der Gaußstraße und ging seiner Heike schnell auf die Nerven, und Heike nervte ihn. Campi wohnte da, wo der Garten von Trini und Heike aufhört. Gleich um die Ecke hockte Andi in der Bruchstraße, die an den meisten Stellen auch genauso aussieht - Breiti direkt gegenüber. Vier Fünftel der Band lebte also im gleichen Planquadrat in Flingern zusammen, wodurch man sich fast zwangsläufig sah. Ich selbst steckte meine Beine bis 1988 noch bei meinen Eltern in Derendorf unter den Tisch, was zuhause nie ein Thema war. Es dauerte nie länger als zwei, drei Tage, bis der eine beim anderen wieder anrief oder aufkreuzte. Wir mußten uns dazu nicht erst lange überwinden, denn wir fanden uns immer wenigstens okay. Die einzigen, die unsere Geschichten von unterwegs verstehen konnten, waren sowieso wir selbst.
    Wir fanden es schnell müßig, den Zuhausegebliebenen zu erzählen, was aufTour passiert war. Entweder hatte man es erlebt oder man kriegte davon nur einen schwachen Nachgeschmack. Oder es wurde längst nicht so komisch oder sonstwie empfunden wie es gemeint war. Anderer Humor, andere Haltung -auch dem progressivsten Stubenhocker bleibt die Welt der Nomaden letzten Endes fremd. Und wir waren Nomaden, wenigstens auf Teilzeitbasis. Wie in diesem Sommer '85, als wir schnell wieder an den Start gehen wollten für die Fortsetzung unserer Serie in Echtzeit. Ich war ein paarmal Billard spielen, hatte zwei, drei mittelprächtige Filme gesehen und lag oft genug mit meiner Freundin im Bett, um unruhig darauf zu warten, daß unser Dampfer wieder ablegt.
    Mitte September '85 ging es für zehn Tage und neun Gigs zum zweiten Mal nach Ungarn und anschließend nach Polen. Diesmal waren wir bei der Einreise nach Ungarn so unvorsichtig, auf unsere Normalo-Fassade zu verzichten. Wir stellten uns mit bunten Haaren, Jacken und Schuhen an den Grenzübergang bei Hegyeshalom und wurden prompt zurückgeschickt - bis auf Faust, der mit einer USA-Jacke über dem Bauch merkwürdigerweise auf Anhieb durchkam. Was nun? Gleich im ersten Ort auf der österreichischen Seite war ein alter Friseurladen, der plötzlich Konjunktur hatte: fünfmal Haare grau färben für fünf Punker, die wieder artig ausse-hen wollen. Als wir den Laden verließen, sahen wir aus wie fünf Schluck faules Wasser in der Kurve. Aber wir kamen endlich am Grenzposten vorbei, wenn wir durch die Schikane auch unseren ersten Gig verpaßten.
    Kiki brauchte Eimer von dem ungarischen Haarfärbezeug, um seinen Kopf wieder auf »rot« zu stellen. Dabei wäre das alles nicht nötig gewesen: Später erfuhren wir, daß eine Genehmigung für unsere Konzerte vorlag, mit der wir problemlos ins Land gekommen wären...
    In Budapest trafen wir Istvän und seine Freunde vom »Young Artists Club« wieder und gaben ein gelungenes Konzert im »Petöfi Csarnok«. Von da aus ging es weiter nach Szeged, Miskolc und in den »Sportpalast« von Zalaegerszeg. Es war das Ungarn vor Gorbatschow und Gyula Horn, in dem es noch keine Formel-i-Rennen gab und keine eigene Playboy-Ausgabe oder sonstigen offiziell genehmigten West-
    Schnickschnack. Mit unseren Touristen-Visa waren wir so etwas wie fünf Halblegale auf Bewährung: Solange nichts passierte, wurden wir toleriert. Aber man spürte immer, daß sich alles schnell drehen kann. Einmal nahmen sie während unseres Gigs einen Polizisten fest, der sich begeistert am Pogo vor der Bühne beteiligt hatte.
    Es gab in Ungarn eben noch Dinge, die tat man als Uniformierter besser nicht. In Polen gab es dafür Dinge, die gab es eben überhaupt nicht. Dazu gehörten die meisten Lebensmittel, Toilettenpapier, Gitarrensaiten und saubere

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