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Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Titel: Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Toten Hosen
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Kopfkissen. Es war in Lodz, glaube ich, als Faust aus seinem Hotelzimmer rannte und rief: »Dat is kein Punk mehr!« Er hatte gerade »So’n dicken Gelben« auf dem Plumeau entdeckt, in das er sein brummendes Fahrerhirn einsinken lassen wollte, und nun war es mit seiner Gemütsruhe vorbei. Unser Ruhrge-biets-Einzelstück von Chauffeur hatte schon genug Ärger mit der Abwesenheit von Klopapier und jeder Form von Hanferzeugnissen. In seiner Verzweiflung ignorierte er bereits seine Verachtung für aggressive Drogen und griff nach dem Wodka, den man uns nach jedem Gig aufnötigte - es verstieß gegen alle guten polnischen Sitten, eine geöffnete Flasche nicht am gleichen Abend auszutrinken. Außer altem Brot und altem Rindfleisch in Dosen kriegte er genau wie wir »Nix zum Beißen«. Außerdem hatte er in Erfahrung gebracht, daß von Warschau aus einmal pro Woche ein D-Zug nach Paris losfuhr, der ihn ohne Umsteigen ins geliebte Wanneeickel zurückbringen könnte. Es war nicht gerade einfach, ihm diese Versuchung auszureden. Was konnten wir ihm hier außer schlechten Straßen und spermigen Kopfkissen bieten?
    Trini würde vielleicht sagen: »KaputteTelefone«. Die angefressenen Überlandleitungen waren es nicht zuletzt, die seine Beziehung zu einer ganz großen Liebe in München entscheidend kappten. Trini hatte sich während unserer Zeit dort unsterblich verliebt und konnte das Feuer nun nicht aus der Ferne unterhalten, weil so gut wie nirgends eine Verbindung zustande kam. Sein eher mäßiges Schlagzeugspiel litt darunter noch zusätzlich, was keiner genauer bemerkte als er selbst. Er hatte in letzter Zeit sowieso schon einige dunkle Monologe geführt, die seine andere, sensible Seite zeigten. »Ich weiß ganz genau, daß wir mal groß werden«, sagte er dann, »Und ich bin euch da nur im Weg. Ich hab das im großen Stil nicht drauf, so fehlerfrei zu spielen«, usw. Er wollte eigentlich nur noch zu dieser Frau und mit ihr eine Familie gründen, statt am Schlagzeug an seinem wackligen Timing zu arbeiten. Ausgerechnet er, der Schlüpfers türmer, redete auf einmal nur noch von Treue! Aber als er nach unserem letzten Gig in Glei-witz nach München zurückkehrte, hatte die Traumfrau schon einen geschniegelten Bürohengst am Start.
    Scheiß Rock’n’Roll. Wir hatten natürlich auch unsere guten Erlebnisse in Polen, wie überall. Wodka und Wahnsinn und Weiber, gelegentlich, aber was heißt das schon? Kann eine geile Nacht zwischendurch die große, feste Beziehung ersetzen, die dir zuhause so oft durch die Lappen geht? Campi lebte zehn Jahre lang mit Ariane zusammen, die viel Geduld für unseren Männerverein aufbrachte. Das ging mal besser und mal schlechter, aber es war die Ausnahme. Wir anderen hatten heute diese und in vier Monaten jene, fingen was an und kamen schnell nicht viel weiter. Daran merkst du manchmal, wie du für deine Art zu leben auch bezahlst. Und trotzdem wäre es eitel und verlogen, deshalb zu jammern. Es war schwieriger, etwas Festes hinzukriegen, unmöglich war es nicht.
    Trinis Film fiel also aus, und nicht viel später fiel Trini selbst aus - zumindest bei uns. Er zog vorübergehend weg von
    Düsseldorf, tauchte danach noch einmal auf. Doch Ende Oktober '85 gab er im Kölner Stollwerck sein definitiv letztes Konzert als Drummer der Hosen - das war der Abend, als wir aus Enttäuschung über die mäßige Resonanz im Publikum das komplette Set in doppelter Geschwindigkeit noch einmal spielten. Campino heulte sich auf der Toilette die Augen aus; wir alle waren total geknickt. Mit seinem Groucho-Marx-Humor war Trini immer eine Herzklappe der Band gewesen; er fing an, wo wir sonst aufgehört hätten. Was immer ein bißchen daneben war - Trini erkannte das Gute daran und trieb es so weit auf die Spitze, daß es wieder einen Stil ergab. Unseren Stil.
    »Wieso denn nicht?« war Trinis Lieblingskonter, wenn uns oder sonstwem etwas peinlich war. Er liebte die Improvisation und das Chaos, das wir in den kleinen Clubs anzettelten. Nur auf eines konnte er nicht: in einer großen »Scheißhalle« auftreten und alles so zu Ende bringen, daß es richtig klappt. Aber genau das war jetzt zum großen Teil unsere Welt: »Scheißhallen« und Konzerte, wo alles richtig klappt.
    Ich hatte gleich wieder eine Band und ein zusätzliches Projekt, als wir uns mit ZK in Neuss endgültig verabschiedet hatten. Ich wohnte als abgebrochener Unterprimaner bei meinen Eltern, ohne Lust auf einen neuen Weg im Alltag. Für einen einzigen

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