Bis zum bitteren Tod (German Edition)
Schottland. Vielleicht war alles hier in Glasgow nur verschwendete Zeit. Vielleicht fuhr Admiral Morgan in die schottische Hauptstadt, nach Edinburgh. Vielleicht sollte er einen Blick auf den in Edinburgh erscheinenden Scotsman werfen.
Ravi rief die neue Site auf, gab erneut den Namen ein und wartete. Wieder nichts. Daraufhin scrollte er aufs Geratewohl durch die vergangenen Ausgaben. Und hier stieß er auf die letzte Montagsausgabe, die eine ganze Seite dem anstehenden Edinburgh International Festival gewidmet hatte, das alljährlich im August stattfand und um die 500 000 Gäste anlockte.
Vorsitzende des Festivalausschusses war eine Lady MacLean, die mit dem pensionierten Royal-Navy-Admiral Sir Iain MacLean verheiratet war. Sie selbst hieß Annie, abgedruckt war ein langes Interview mit ihr über die verschiedenen Veranstaltungen, die das Festival zu bieten hatte, die Filme, Theater- und Ballettaufführungen, die Chöre und, schließlich, das Military Tattoo, das am Samstag beginnen sollte.
Lady MacLean führte eine Liste hoher Würdenträger auf, die in der königlichen Loge im Edinburgh Castle die Parade abnehmen würden. Als Vierter in der Reihe war, in extrem kleiner Schrift, Admiral Arnold Morgan, US-Navy (pens.) aufgeführt.
Den Verfasser des Artikels musste die Anwesenheit des US-Admirals bei diesem doch sehr britischen Ereignis überrascht haben, denn er hatte nicht lockergelassen. Lady MacLean sah sich genötigt zu erklären, dass der ehemalige Berater des US-Präsidenten ein alter Freund ihres Mannes sei und bei ihnen in Inveraray wohnen würde. Sowohl Sir Iain als auch Admiral Morgan seien Kommandanten auf Atom-U-Booten gewesen.
Die Parade beim Tattoo würde jeden Abend von einem anderen abgenommen, Admiral Morgan sollte die Ehre am Dienstag, dem 7. August, zuteilwerden. Ravi konnte sein Glück kaum fassen. Er war darüber so erleichtert, dass er keinen Gedanken daran verschwendete, dass Admiral Morgan auf der Esplanade von umfangreichem Sicherheitspersonal sowie der halben britischen Armee umgeben sein würde.
Sein erster Gedanke war es, Arnold Morgan während seines Aufenthalts in Inveraray zu erschießen. Sollte sich das als unmöglich herausstellen, hätte er beim Tattoo eine zweite Chance. Fünf Minuten zuvor hatte er noch überhaupt keine gehabt, jetzt waren es sogar zwei. Ravi spürte, dass sich sein Glück gewendet hatte.
Er machte sich zwei kurze Einträge in sein ledernes Notizbuch und fuhr anschließend mit dem Aufzug in den sechsten Stock, wo Shakira bereits schlief. Er weckte sie sanft und sagte ihr, er würde in der Zentralmoschee von Glasgow, die am Fluss lag, am Nachmittagsgebet teilnehmen. Nach ihren harschen Worten beim Essen hatte er dringend geistigen Beistand nötig – was er ihr allerdings verschwieg.
Die unumstößliche Logik ihrer Worte hatte ihn nicht kaltgelassen. Im Grunde hatte sie ja Recht. Warum sollten er und dieses wunderschöne palästinensische Mädchen weiterhin ihr Leben oder, im besten Fall, eine lebenslange Gefängnisstrafe riskieren, wenn anscheinend niemand sonst etwas tat.
Er brauchte Bestärkung. Obwohl Muslime nicht direkt mit Gott kommunizierten – noch nicht einmal Ajatollahs taten dies -, fühlte sich Ravi in der Moschee Allah näher und hoffte, eines Tages als Auserwählter dessen Stimme zu hören.
Er war von seinem neuen Glauben nicht abgefallen, aber er stellte ihn doch infrage – und das war etwas, bei dem ihm niemand helfen konnte. Ravi wusste, er brauchte den Beistand des Propheten, um dessen Werk auf Erden zu verrichten. Der muslimische Traum eines großen Reiches vom Horn von Afrika bis nach Marokko konnte in Erfüllung gehen. Aber nur, wenn Männer wie er, General Rashud, den Weg bereiteten und jene Krieger des Westens, die sich ihnen in den Weg stellten, eliminierten.
Den Ruf des Mullahs zu hören, der die Gläubigen zum Gebet rief, dessen bedurfte er hier in dieser fremden schottischen Stadt, in der er damit rang, seinen leidenschaftlichen Glauben an Gott wiederzugewinnen, jenen Glauben, der ihn dazu brachte, sich jeden Tag nach Osten, zum heiligen Schrein in Mekka, zu richten und sich vor Allah zu verneigen.
Er nahm ein Taxi zur Moschee, die sich mit ihrer Stahl- und Glaskuppel und dem freistehenden Minarett als beeindruckendes Bauwerk herausstellte, größer noch als die Londoner Moschee am Regents Park. Als Ravi den Ruf des Mullahs hörte, spürte er wieder die vertraute Lockung der Wüste.
Hier befand er sich inmitten gläubiger
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