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Bis zum Ende der Welt

Bis zum Ende der Welt

Titel: Bis zum Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Zähringer
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früher Laskas Frau gestanden und ihrem Mann nachgesehen hatte, als er ins Büro fuhr, und was sie dabei wohl empfunden haben mochte, ob sie Erleichterung verspürte oder ihn bereits schon wieder sehnsüchtig erwartete oder ob es ihr vielleicht ganz egal gewesen war, gleichgültig auf eine Art, die nur von einer Ehe herrühren konnte, einem Miteinander, das nach und nach zu einem von den Verhältnissen oder der Unfähigkeit, diese umzustürzen, erzwungenen Nebeneinander verfiel, so, wie es ihrer Mutter ergangen war, die es irgendwann aufgegeben hatte, ihrem Mann die Wodkaflasche wegzunehmen, sondern nur noch darauf bedacht gewesen war, ihn möglichst wenig zu sehen, zu hören und zu sprechen, ihn also vor ihren Augen verschwinden ließ, bis er eines Tages tatsächlich verschwunden war und zu ihren Lebzeiten nicht wiederauftauchen sollte.
    Was war aus Laskas Frau geworden? Wann und woran war sie gestorben? Das hätte Anna gerne von ihm gewusst.
    Sie trank den Kaffee aus und ging ins Obergeschoss, in Laskas Zimmer. Sein Laptop lief und zeigte immer wieder neue Zahlen. Er hatte ihr erlaubt, den Rechner zu benutzen, solange sie das Programm nicht unterbrach.
    Sie fragte ihre E-Mails ab. Die Hochschule forderte sie auf, ihre Studiengebühren zu bezahlen, da sie sonst innerhalb von zwei Wochen exmatrikuliert werde. Eine andere Nachricht kam von ihrer Freundin im Studentenwohnheim: «Er sucht immer noch nach dir.»
    Würde sie in einer Woche noch hier sein?
    Warum ging sie nicht einfach? Jetzt, hier und heute. Sollte Laska doch weiter die Tage in Wartezimmern verbringen und abends den Mond betrachten. Auch ohne Geld fände sie bestimmt irgendeine Arbeit. Sie hatte in den Geschäften und den Cafés Zettel gesehen: Suchen Aushilfe. Bedienung gesucht. Irgendwas geht immer.
    Sie überließ das Gerät seinen Berechnungen, ging hinunter ins Erdgeschoss und zog sich eine Jacke über, sah kurz auf das Schlüsselbrett neben der Haustür. Es war aus Holz, an ein paar krumm und billig wirkenden Haken hingen die Schlüssel, darüber war ein Spruch ins Brett gebrannt: Carpe diem! Es sah nach einem Weihnachtsgeschenk aus, das man von Schwager oder Schwiegermutter bekommt und, weil es eben ein Schlüsselbrett und keine Vase war, nicht einfach in einem Schrank verschwinden lassen konnte, einem Gegenstand, den man mit dem festen Vorsatz angebracht hatte, ihn nach einer gewissen Anstandszeit wieder zu entfernen, und zwar in der Hoffnung oder gar stillen Gewissheit, dass dieses vom ersten Moment an geplante Verschwindenlassen nie jemandem auffallen würde. Doch aus welchem Grund auch immer war jener Moment verpasst, war das Brett weder verbannt noch verbrannt, sondern lediglich auf eine subtile Weise vergessen worden, sodass es immer noch da hing und wie alle vergessenen Dinge begonnen hatte, in der Welt Raum einzunehmen, den man ihm vor dem Ende derselben nur sehr schwer wieder würde nehmen können.
    Ich muss aufpassen, dachte Anna, dass ich nicht ebenso hier hängen bleibe. Sie nahm den Hausschlüssel vom Haken und ging nach draußen.
     
     
    Die Kette war um zwei Streben des Tores gewickelt und unten mit dem Vorhängeschloss verbunden, sodass es auf den ersten Blick so aussah, als wäre es fest verschlossen. Aber die beiden Streben gehörten zu ein und demselben Flügel des Tores: Es war offen.
    Sie spazierte den Hohlweg hinunter, der einmal eine gepflasterte Auffahrt gewesen sein mochte, nun aber von Gras und Unkraut überwuchert war. Über ihr schwankten die Wipfel von Buchen und Eichen, rauschte der Wind durch Blätter und Geäst. Vom Laub der Baumwipfel über ihr gebrochen, wurde das Morgenlicht zu einem Flirren, das sie – so lange war sie durch keinen Wald mehr gegangen – an das Stroboskopflimmern auf der Tanzfläche eines Techno-Clubs in Kiew erinnerte. An den Seiten der Tanzfläche hatten riesige, alte graue Computerschränke gestanden, einige enthielten die Lautsprecherboxen der Musikanlage, in anderen drehten sich immer noch die Magnetbänder der Rechenmaschinen, zu denen sie einst gehört hatten. Überall hingen rote Telefone an der Wand, die nach einem Zufallsprinzip miteinander verschaltet wurden, sodass es ein beliebter Sport war, die Partnerwahl für den Abend vom Klingeln der Telefone abhängig zu machen. Zwar war «Das Silo» in einem gewöhnlichen Fabrikkeller untergebracht, aber der Betreiber hatte wohl frühere Kontakte genutzt und sich beim Abzug der Strategischen Raketenstreitkräfte der Sowjetunion das Inventar

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