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Bis zum Ende der Welt

Bis zum Ende der Welt

Titel: Bis zum Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Zähringer
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abgerissen oder hochgezogen. Laska stellte den Wagen in einer Seitenstraße des Kurfürstendamms ab, und sie stiegen aus.
    «Tja», sagte er, «wenn du dir was kaufen willst, ein Kleid oder so, dann kannst du das hier tun. Ich meine, hier gibt es viele Geschäfte.»
    Sie sah ihn an. «Wir sollten was kaufen für dich.»
    «Für mich?»
    «Ja, du siehst ein bisschen aus wie dein Haus. Lange nix mehr dran gemacht.»
    Sie gingen zu einem Herrenausstatter und in zwei weitere Geschäfte, und am Ende hatte Laska sich einen Anzug, ein paar Hemden, eine Hose und eine Mikrofaser-Windjacke gekauft. Gegen die Jacke hatte er sich gewehrt.
    «Das ist eine Jacke für schweres Wetter.»
    «Schweres Wetter?»
    «Für Leute, die segeln, bergsteigen und so was.»
    «Und?»
    «Ich habe nicht mehr vor, segeln oder bergsteigen zu gehen.»
    «Bist du früher auf Berge rauf und gesegelt?»
    «Nein.»
    «Alle tragen diese Marke, hab ich gesehen.»
    «Weil sie denken, sie könnten sich dann fühlen wie beim Segeln oder Bergsteigen, ohne segeln oder bergsteigen zu müssen.»
    «Der Mond», sagte sie, «ist weiter als bis zu den Bergen. Bald wird es kalt auf deinem Dach.»
    «Anna, weißt du», begann er, und ihr war, als drängte es ihn, ihr etwas zu gestehen, dann aber zuckte er mit den Achseln, hielt die Jacke hoch, drehte sie hin und her, als wollte er sie noch ein letztes Mal auf Fehler, die ein Herunterhandeln rechtfertigen könnten, begutachten, und brummte schließlich: «Wenn du meinst.»
     
    Lange mache ich dieses Theater nicht mehr mit, nahm sich Anna vor, nachdem sie mit Tüten beladen das Geschäft verlassen hatten. Ein wenig werde ich ihn noch ausnehmen, und dann verschwinde ich.
    In den nächsten Läden, die sie betraten, suchte sie sich Sachen aus, die ihr gar nicht besonders gefielen, aber allesamt teuer waren. Laska bezahlte.
    Ein heftiger Wind in den oberen Luftschichten trieb Wolken über das Blau, doch unten, auf der Straße, war nichts davon zu spüren. Von ihrem Großvater hatte Anna die Angewohnheit, sich vorzustellen, dass sich nicht die Wolken bewegten, sondern die Erde, dass sie also mit dem Planeten durch das Weltall rasten. Auf dem Rücken mitten in der kasachischen Steppe liegend, hatte Major Konew sich an Nachmittagen, an denen es mehr oder weniger nichts zu tun gab, stundenlang der Phantasie hingegeben, dass der Erdball durch den Kosmos schlingerte, und ihn hatte es dabei geschaudert. «Wird die Reise jemals enden?», hatte er sich gefragt, und das nicht zum ersten Mal. Schon zuvor, in Spandau, hatte er mit dem französischen Gefängnispfarrer Delaume darüber debattiert, ob es ein Ende gebe – und wenn es kein
richtiges
Ende gebe, was einen danach, im Himmelreich, erwarte.
    «Gnade», hatte der Pfarrer gesagt.
    «All der Aufwand auf Erden für ein bisschen Gnade im Himmel?»
    «Ist das so wenig?», erwiderte Delaume und trat an das Fenster, das zum Hof hinausging. «Schauen Sie sich die Männer draußen im Garten an. Sie sind von Mauern umgeben. Nur der Himmel steht ihnen offen.»
    Und als ob sie den Pfarrer gehört hätten (es war wohl eher ein Flugzeug), hoben alle Gespenster (außer Nummer  7 , dem verrückten Piloten) die Köpfe, stützten sich auf ihre Rechen und Harken, blinzelten, während ein leichter Wind ihnen durch die silbrigen Haare strich, seufzten, husteten, ächzten und starrten in den Himmel.
    Ein Schwarm Vögel zog über sie hinweg.
    «Wird bald Herbst», sagte Anna.
    «Ja», sagte Laska, «ja.»
     
     
    Die Woche verstrich mit gelegentlichen Einkaufstouren und der Besichtigung des Reichstages, des Zoos, des Tiergartens. Einmal nahm Laska sie bei der Hand – nicht aus Zärtlichkeit, sondern um sie vor dem Zusammenstoß mit einem Radfahrer zu bewahren, der lautlos und schnell den Gehweg entlangkam. Es war kein Versuch der Annäherung, und doch war da etwas Vertrautes, etwas, das Anna an lange zurückliegende Tage erinnerte. Geh, sagte sie sich, verschwinde, so schnell du kannst.
    Laska hatte weitere Arzttermine. Von jedem kam er noch wortkarger zurück. Einmal musste er besonders früh aufstehen. Die Untersuchung dauere den ganzen Tag, erklärte er ihr. Vom Fenster der Küche aus beobachtete Anna, wie er im Dämmerlicht in der Garage verschwand und wenig später der Volvo hervorkam, ein prähistorischer Lurch, der um die Ecke kroch, während sie am Kaffee nippte und den Rücklichtern des Wagens nachsah und sich plötzlich fragte, ob hier an dieser Stelle, mit derselben Tasse in der Hand,

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