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Bis zum Ende der Welt

Bis zum Ende der Welt

Titel: Bis zum Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Zähringer
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Präzise wie die Ingenieure. Die Krankheit sei inoperabel, nicht mehr kurierbar, sechs Monate plus/ minus zwei, die Aussicht auf ein volles Jahr liege statistisch bei 1 , 9  Prozent, er dürfe sich da keine Illusionen machen, er solle seine Dinge regeln. «Aber was soll das sein?», fragte er, «‹die Dinge regeln›?»
    «Hast du keine Freunde?»
    «Nein, ja – ein paar Amateurastronomen wie ich. Aber wir treffen uns nur selten.»
    «Hast du es deinem Sohn gesagt?»
    «Nein.»
    «Du wirst es ihm auch nicht sagen.»
    Er schüttelte den Kopf. «Du kannst das nicht verstehen. Es ist besser so. Eines Tages wird er einen Anruf bekommen, und das war’s dann.»
    «Warum?»
    «Warum bist du mit mir mitgekommen? Mit einem alten Mann? Liebe kann es wohl kaum gewesen sein.»
    «Du bist allein, Laska, ganz allein. Das ist dein Problem.»
    «Und du bist vor jemandem weggelaufen.»
    Sie antwortete nicht.
    Er wisse, fuhr er fort, er sei nicht ehrlich gewesen, er hätte ihr das alles gleich in Kiew erzählen sollen, aber sie sei eben auch nicht ehrlich gewesen, und nun sei sie hier, aus welchen Gründen auch immer, und vielleicht habe er sich das alles romantischer oder einfach nur anders vorgestellt, aber das Leben sei kein Fernsehfilm, die Wahrheit sei, dass seine Zeit ablaufe und er nicht genug davon habe, um noch mal nach jemandem zu suchen, noch einmal jemanden anzusprechen, sich zu verabreden, sich kennenzulernen, sich näherzukommen, die Uhr ticke, daran sei nichts zu ändern, und deswegen könne er ihr jetzt auch die Frage stellen, die er ihr ehrlicherweise schon damals in Kiew hätte stellen sollen, in dem armenischen Restaurant oder spätestens oben bei diesem Denkmal, wo er sie nach dem Namen der Sterne gefragt habe –
    Was kommt jetzt?, dachte sie. Ein Heiratsantrag?
    « 20 000  Euro», sagte Laska. «Wärst du bereit, mich für 20 000  Euro nach Portugal zu begleiten und dort zu bleiben, bis – na ja, du weißt?»
    Anna schwieg.
    «Nicht als Krankenschwester oder so was», fügte er hastig hinzu, «eher als eine – Assistentin. Es geht mir um … Gesellschaft.»
    «Ich muss nachdenken», sagte sie.
     
    Am nächsten Morgen wartete sie darauf, dass er das Haus verließ. Er hatte ihr gesagt, sie solle sich Zeit lassen, es sich gut überlegen, er könne ihr Zögern verstehen, es sei ja auch ein ungewöhnlicher Vorschlag. Der Flug gehe erst in einer Woche, bis dahin müsse er ohnehin noch einige Dinge regeln.
    Und dann ging er.
    Sie packte ihre Tasche und verabschiedete sich von den Astronauten auf dem Teppich. Die beiden sahen traurig aus. Für gut eine Woche war ihr das Zimmer mit den verblichenen Kindheitsträumen eines ihr unbekannten Jungen beinahe so etwas wie ein Zuhause geworden. Aber es half nichts: Sie glaubte kein Wort von dem, was Laska gesagt hatte. Was meinte er mit «Gesellschaft»? Wahrscheinlich hoffte er, dass sie am Ende aus Mitleid doch so etwas wie seine Geliebte würde – kein Mann zahlt 20 000  Euro dafür, dass man ihm nur die Hand hält oder durch sein Teleskop schaut. Zudem hatte sie Miss Popo nicht vergessen. Was, wenn nicht nur die tödliche Krankheit eine Lüge war, sondern auch seine ganze Biederkeit-Fassade? Und selbst wenn er sterbenskrank war – wer garantierte ihr, dass er wirklich in sechs Monaten tot umfiel und nicht erst in zwei Jahren? Es war ganz einfach, man musste gar nicht nachdenken: Entweder Laska spielte ihr etwas vor, weil er hoffte, sie auf diese Weise ins Bett zu bekommen, oder er war verrückt. Und wenn er nicht log oder verrückt war, dann war er so etwas wie eine wandelnde Leiche. Ein deutscher Zombie. Es war höchste Zeit zu verschwinden.
    In einer der Jacken, die im Flur hingen, fand sie eine Lederbrieftasche, sie enthielt keine Ausweise oder Kreditkarten, aber etwa zweihundert Euro in bar. Sie nahm das Geld, ließ den Schlüssel am Brett hängen, ging, ohne sich noch einmal umzudrehen, aus dem Haus, hörte, wie die Tür ins Schloss fiel.
     
    Über ihr sammelten sich Zugvögel am rauchgrauen Himmel. Als sie auf der Höhe des schwarzen Geländewagens war, öffnete sich die Beifahrertür. Ein Mann stieg aus, er trug eine Sonnenbrille, obwohl die Sonne gar nicht schien. Mit unverändert gleichgültiger Miene schlug er Anna in den Bauch. Sie krümmte sich zusammen, und er stieß sie ins Auto, auf den Fußboden hinter dem Fahrersitz. Nachdem er sich kurz umgeschaut hatte, stieg er selbst ein, setzte sich neben sie auf den Rücksitz. «Wenn du schreist oder

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