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Bis zum Hals

Bis zum Hals

Titel: Bis zum Hals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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einen Mitinsassen, der ›nein‹ nicht als Antwort akzeptieren wollte.
    »Vielleicht besser, du fasst mich nicht an«, waren seine Begrüßungsworte gewesen, und da ich das eh nicht vorgehabt hatte, kamen wir anschließend eigentlich ganz gut miteinander klar. Für einen Hitzkopf war er erstaunlich cool. Und gar nicht dumm. Er weinte bei allen Vernehmungen. Er weinte vor dem Anstaltspsychologen. Er weinte vor Gericht. Bei mir in der Zelle weinte er kein einziges Mal. Ich hab ihm damals geraten, es nach der Entlassung als Schauspieler zu versuchen, und tatsächlich stolpere ich heute ab und an mal beim Zappen über ihn und seine Unschuldsmiene.
    Kann man mal sehen. Doch wie war ich darauf gekommen?
    Ah, ja. Schmächtige Figur, jungenhafte Züge, jedoch mit irgendeinem Hinweis auf tiefsitzende Bitterkeit, das ist so ein Charakteristikum, das mir bei Strichern schon oft aufgefallen ist.
    Und von da aus war es nur ein kleiner, gedanklicher Schritt zum Rosa Lollipop, Mülheims heißester Gay-Bar, ein unumstößlicher Superlativ, wenn auch schlichtweg mangels Konkurrenz. Und der gedankliche Schritt war umso kleiner, wenn man bedachte, dass die Schwulenkneipe nur einen Steinwurf entfernt lag von der Stelle, an der man mich gestern Nacht zum Totschläger wider Willen gemacht hatte.
    Also drauf aufs Gas, und die Tachonadel tat ihr Möglichstes, mich davon zu überzeugen, dass wir tatsächlich beschleunigten. Ich ließ die Scheiben runter, bis mich die warme Nachtluft umfächelte, und versuchte einfach, die Nerven zu behalten.
     
    Schon einen halben Kilometer vor dem Lollipop parkten die Autos dicht an dicht, doch direkt vor der Tür des Lokals machte ich eine Lücke aus, von der ich dachte, sie könnte so gerade passen.
    Sie passte natürlich nicht, und das trotz der zahlreichen, überaus hilfreichen Kommentare, mit der mich die kleine Schar von Gästen versorgte, denen es drinnen zu eng oder zu, tja, schwül geworden war. Wie gesagt, es passte nicht, zum unverhohlenen Vergnügen der Zuschauer, und ich war drauf und dran, einfach wegzufahren und ein andermal wiederzukommen, als mir einfiel, dass man die hässliche kleine Kutsche ja angeblich auch quer einparken kann, also riss ich sie um quietschende 270 Grad herum, stach in die Lücke und bremste das Ding mit Gewalt zusammen. Mit aller Gewalt, sagen wir mal, die das knurrende ABS zuließ.
    Motor aus, und ich hörte jemanden »Smart!« flöten, gefolgt von einigem Gegiggel. Nun endgültig angenervt, wollte ich so schnell wie möglich aussteigen, und die allgemeine Heiterkeit wuchs merklich, als ich dazu die Tür nicht weit genug aufbekam. Was ich stattdessen bekam, war ein dicker Hals. Jetzt wieder wegzufahren wäre … eine Schmach gewesen. Also ruckte ich die Türe wieder ins Schloss, schwang die Füße herum auf den Beifahrersitz, griff mit beiden Händen raus zur Dachreling und zog und schob mich mit aller zur Verfügung stehenden Geschmeidigkeit rücklings durchs Fenster. Irgendjemand pfiff anerkennend.
    Endlich draußen, glitt ich von der Haube des neben meinem parkenden Wagens und war nicht unzufrieden mit mir, bis einer aus der kleinen Gruppe von stylisch gewandeten Markenfickern meinte: »Jetzt sind wir aber so was von gespannt, wie er die Scheiben hochgedreht kriegt«, gefolgt von viel gepresstem Hihi.
    Ich wandte mich wortlos ab und ging mit langen Schritten ins Lokal.
    Kurz, ich war nicht unbedingt mein gelassenstes Selbst, als ich mich durch das schrill gestimmte Getöse, dick aufgetragene Gebalze und ganz allgemein affektierte Gebaren zum Tresen vorarbeitete. Alles, was ich wollte, war ein Bier und einen Moment Ruhe. Ich fand einen Hocker und bestellte einen Pils, möglichst groß, möglichst kalt, möglichst bald, doch der blassgeschminkte Schwarzgefärbte hinterm Tresen zog es vor, mich zu ignorieren.
    Jetzt bin ich eigentlich kein Typ für Gewalttätigkeiten, doch so was macht mich rasend. Wer sich zu schick findet, um in der Gastronomie zu arbeiten, der soll es ganz einfach lassen. Ich bestellte noch mal, unmissverständlich in Tonfall und Lautstärke, wenn auch weiterhin höflich in der Wortwahl, zählte bis zehn und schloss meine Finger um einen Kristallaschenbecher, als der Blasse endlich aufsah. Gut für ihn.
    »Ich nehme keine Bestellungen entgegen«, ließ er mich wissen. »Ich lege hier nur auf.«
    Ich dachte kurz daran, ihm den Ascher trotzdem über den Scheitel zu ziehen, und sei es nur dafür, mich so lange warten gelassen zu haben. Doch ich

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