Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis zum Hals

Bis zum Hals

Titel: Bis zum Hals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
Vom Netzwerk:
Stille. Tina wartete einen Moment, nahm dann die Hand weg und ich atmete wieder.
    »Was machst du denn hier?«, ächzte ich.
    »Wonach sieht’s denn aus?«, kam die Gegenfrage, gemünzt auf ihre Kluft, ganz in Weiß und reichlich fleckig. »Ich koche. Sehr lecker, wenn auch nicht unbedingt sehr gerne. Und nur, um einen kleinen Durchhänger in meiner Showbizkarriere zu überbrücken. Eine Frau muss schließlich sehen, wie sie über die Runden kommt.«
    Tina war ein ehemaliger Maurerpolier von einer Statur, die Gerüstdielen ächzen machte, der eines Tages die Kelle aus der Hand gelegt und entschieden hatte, Travestiekünstler zu werden. Wie so viele andere Transen sparte auch sie auf eine Operation, ohne es je so ganz zu schaffen.
    Vor Jahren hatte sie mich mal beauftragt, ihr einen Stalker vom Hals zu schaffen. Keinen Fan allerdings, sondern eine Hasskappe, so ein Frömmler, der es für seine Christenpflicht hielt, Tina mit Drohbriefen und Anrufen zu terrorisieren. Irgendwie hab ich damals Namen und Adresse des Kerls rausbekommen und bin zusammen mit meinem imposanten Biker-Kumpel Hoho da hin, den Betbruder mit mahnenden Worten zur Räson zu bringen. Das ließ sich gut an, bis sich herausstellte, dass mir der Kerl rhetorisch haushoch überlegen war. Irgendwann hatte er mich mit seinen Bibelzitaten dermaßen in die Ecke gedrängt, dass ich Hoho bitten musste einzuspringen, was der auch tat, indem er dem Frömmler mit Ohrfeigen sämtliche Zähne lockerte. Danach war Ruhe, in jeder Hinsicht.
    Tina hat zwar meine Rechnung nie bezahlt, doch manchmal ist Loyalität so viel mehr wert als schnöder Mammon. Und brauchen wir nicht alle ab und zu mal eine starke Schulter, um uns anzulehnen?
    »Mein Retter«, meinte Tina mit Gefühl. »Was treibt dich her?«
    Ich schilderte ihr kurz, weshalb ich hier war, und Tina zwängte sich entschlossen hinter die Theke, wo sie und der Blasse und der Neo-Punk die Köpfe zusammensteckten und animiert drauflosquatschten.
    Dann sahen sie alle drei zu mir und schüttelten die Köpfe oder zuckten die Achseln oder beides. Tina kam wieder vor und wuchtete sich auf den Hocker neben meinem.
    »Sieht nicht so aus, als ob dein Typ gestern oder, so gesehen, jemals hier war. Dies ist eine höchst kommunikative kleine Gemeinde, weißt du, und neue Gesichter fallen auf.«
    Damit wandte sie sich wieder an Kevin-Schätzchen und bestellte zwei große Pils, und, einmal dabei, gleich auch noch zwei doppelte Wodka.
    »Als Trösterchen«, erklärte sie. »Freund Krüschel hier liebt seinen Wodka. Nicht wahr?«
    »Das ist lange her, Tina«, wiegelte ich ab. »Und ich sollte wirklich machen, dass ich ins Bett komme …«
    »Ach, hör auf. Einen wirst du doch nicht ausschlagen?«
    »Na gut«, sagte ich, wie man das so sagt. Ein Drittel Resignation, zwei Drittel Antizipation. Vielleicht half es ja gegen zu erwartende Träume voller Vorwurf und Schuldgefühl.
    »Na also! Stößerchen!«
    Und wir klickten die eiskalten, harmlos kleinen Gläschen aneinander.
     
    *
    Die Katze lauerte. Ich wusste es, spürte geradezu, wie sie vor dem Bett hin- und herstakste, Schwanz senkrecht, leicht zuckend vor Ungeduld, der Blick ihrer beiden tückischen Pupillenschlitze unverwandt auf mein Gesicht gerichtet in übellaunigem, störrischem Starren.
    Ich rührte mich nicht, ließ die Augen geschlossen. An ein Offnen war so oder so vorerst nicht zu denken. Nicht mit einem Kopfschmerz wie diesem.
    Die Katze lauerte, aber sie schwieg.
    Eine Zeitlang hat sie geglaubt, sie könne bestimmen, wann hier wachzuwerden, aufzustehen und ihr Napf zu füllen sei.
    Bis ich mir angewöhnte, nicht mehr ohne geladene Waffe unterm Kopfkissen einzuschlafen. Okay, es war nur eine Wasserpistole, doch ein paar höchst befriedigende Treffer hatten genügt, dem Mistvieh ein tieferes Verständnis von Ursache und Wirkung unters Fell zu blasen.
    Seither lauerte sie schweigend.
    Solange ich die Augen zuließ, hieß das. Und da ich mich aus verschiedenen Gründen momentan außerstande sah, dem gleichzeitigen Ansturm von Licht und Schall zu trotzen, hielt ich sie auch geschlossen.
    Die Katze lauerte weiter. Sie wusste, dass ich wach war, so wie ich wusste, dass sie lauerte. Sobald ich mich rührte, sobald ich nur mit der Wimper zuckte, war das für sie das Signal, ihr penetrantes Quäken anzustimmen. Das waren die Vereinbarungen hier im Haushalt, die den wackeligen Frieden aufrechterhielten und damit ein Zusammenleben möglich, wenn auch nicht unbedingt vergnüglich

Weitere Kostenlose Bücher