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Bis zum Hals

Bis zum Hals

Titel: Bis zum Hals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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machten.
    So lag ich also still, atmete flach und gönnte mir eine ordentliche Dosis Selbstmitleid. Gleichzeitig weigerte ich mich, mir den weiteren Verlauf des gestrigen Abends in Erinnerung zu rufen, oder den Zustand, in dem ich nach Hause gekommen war und als dessen direkte Auswirkung die schauerliche Verfassung gerechnet werden musste, in der ich mich nun befand. Ursache und Wirkung. Manche Leute lernen’s nie.
    Die Katze lauerte, starrte, wartete, lauerte.
    Die beste Idee schien zu sein, zurückzufinden, mich wieder einzuwühlen in den Mulch des Schlafes und der Unerreichbarkeit. Doch etwas nagte an der Basis meines Bewusstseins, nagte und nagte wie ein Biber am Fuß eines Baumes. Bis es Knack macht und die Blätter rauschen.
    Keine Schlüssel. Das war’s. Der Tote hatte keine Schlüssel bei sich gehabt. Ich setzte mich mit einem Ruck auf und bereute es augenblicklich. Man stelle sich eine Luftschutzsirene vor, die urplötzlich mitten im Zimmer anspringt. Und das nach einer Nacht am Tresen in Gesellschaft von Tina, der Webpelz-Schabracke, einer Frau, die »Stößerchen« mit einer Schlagzahl zu flöten versteht, die den Deutschland-Achter in den kollektiven Kollaps jagen würde.
    Auf- und abschwellend, das schrille Geheul, hin- und herlaufend, möglichst nah bei meinen Ohren und doch immer so gerade außerhalb der Reichweite eines gestreckten Arms.
    Wer, zum Teufel, fragte ich mich, rollte aus dem Bett, kroch zur Kochnische, fand und riss eine Dose auf, kratzte den widerwärtigen Inhalt in einen Napf und seufzte erleichtert auf, als sich gefräßige Stille über das Appartement senkte, wer, zum Teufel, geht ohne Schlüssel aus dem Haus?
    Nachdenklich stöpselte ich das Telefon ein und zuckte zusammen, als es augenblicklich zu fiepen anfing. Nach kurzem Zögern ging ich dran.
    »Kryszinski? Vonscheidt hier. Hören Sie, Sie haben den Scherz weit genug getrieben. Ich will die Schlüssel zurück und ich will meinen Wagen wiederhaben, kapiert? Und zwar sofort!«
    »Sie wissen, was Sie mir schulden.«
    »Was ich Ihnen schulde? Alles, was ich Ihnen schulde, ist ordentlich ein paar auf die Fresse für das ganze Theater, das ich Ihretwegen hier habe, und entweder Sie bringen mir jetzt pronto sämtliche Autoschlüssel und meinen Wagen zurück, oder ich werde dafür sorgen, dass Sie kriegen, was Sie verdienen!«
    All dieses Energetentum am frühen Morgen und noch dazu in einer völlig übertriebenen Lautstärke war nur schwer zu ertragen. Doch es weckte die Lebensgeister, irgendwie.
    »Fünf Mille, wenn ich Ihre Frau finde, so war die Vereinbarung. Und ich habe sie gefunden. Scheißegal, wo. Sie hätten mir nur Bescheid geben müssen, dass die Gute zu Ihnen zurück ist. Doch stattdessen haben sie mich noch endlos weiter herumrennen lassen, und darum schulden Sie mir jetzt fünftausend. Ob’s Ihnen nun passt oder nicht.«
    Mit ein bisschen Fantasie konnte man das Telefon in Vonscheidts Griff knirschen hören, während er sich den nächsten Satz zurechtlegte.
    »Kryszinski«, knurrte er dann, »ich möchte, dass Sie begreifen, in was für einer wirklich rauen Branche ich arbeite.«
    »Und sie wird täglich rauer, Vonscheidt. Zumindest, bis Sie mich bezahlt haben.«
    Damit trennte ich die Verbindung, ließ den Knopf aber gleich wieder los. Schlüssel, dachte ich, und wählte eine Nummer aus dem Gedächtnis.
    »Kriminalkommissariat Mülheim an der Ruhr, Hufschmidt.«
    »Hör mal«, sagte ich, »habt ihr schon die Hotels, Pensionen und sonstigen Absteigen der Gegend abgegrast?«
    »Kryszinski, bist du das?«
    »Ich meine, der Tote hatte weder Papiere noch Schlüssel dabei. Das findet man doch normalerweise nur bei Hotelgästen, also bei Leuten, die ihren ganzen Krempel im Zimmer zurücklassen.«
    »Oder bei Obdachlosen, Klau-Kids, geistig Verwirrten, Opfern von Raubüberfällen, um nur ein paar Beispiele zu nennen.«
    »Du meinst demnach, seine Mörder hätten ihm erst die Schlüssel abgenommen, bevor sie ihn mir vor den Wagen geschubst haben?«
    »Ich meine überhaupt nichts, und wo ich dich gerade …«
    »Aber dran gedacht hast du schon?«
    »Nein! Ich will dich wegen einer ganz anderen Sache …«
    »Das heißt, ihr fangt an, mir zu glauben.«
    »Dir glauben? Nicht in einem Jahr mit sieben Weihnachten, Kryszinski! Und ich hab hier eine Anzeige gegen di …«
    »Also, habt ihr rausgekriegt, wo der Tote gewohnt hat?«
    »Nein! Und …«
    Ich legte auf und ging aus dem Haus. Anziehen musste ich mich nicht. Weil … Nun ja.

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