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Bis zum Hals

Bis zum Hals

Titel: Bis zum Hals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Bewegungen das plötzliche Bücken am wenigsten ratsam war.
    »Ich nehme an, es ist der hier«, meinte Anoushka und hielt mir den für so ein riesiges Auto lächerlich klein geratenen Schlüssel unter die Nase. »Ich hab ihn beim Aufräumen gefunden.«
    »Ah ja«, begann ich vorsichtig. »Das Aufräumen …«
    »War auch mal höchste Zeit«, mischte sich Nachbarin Mohr, auch liebevoll Möhrchen genannt, ungefragt ein.
    »Es gefällt dir nicht.« Anoushka sah sich um und mich dann direkt und ein wenig trotzig an.
    »Nun ja.« Ich wusste nicht weiter. Im Grunde war es ja wirklich mal nötig gewesen, daher sollte ich mich dankbar zeigen. Doch dann hat so ein Akt auch immer ein unleugbares Element von Kritik an der Lebensführung des Aufgeräumten, und Kritik, also, wie soll ich sagen? Kritik, da kann ich nicht drauf.
    »Wenn’s aufgeräumt ist«, bekannte ich schließlich, »dann merkt man erst, wie ungemütlich die Hütte eigentlich ist.«
    »Kristof«, sagte Anoushka mit großem Ernst und noch größeren Augen, »ich werde nicht mehr lange hier sein. Danach kannst du es dir wieder so gemütlich machen wie du magst.«
    »Bleiben Sie lieber noch ein bisschen«, krähte Frau Mohr und schraubte den Blitzlichtaufsatz von ihrer Kamera. »Er braucht Sie, sehen Sie ihn sich doch mal an. Sieht aus wie der aufgewärmte Tod. Kommt alles von seiner ungesunden Lebensweise. Wenn Sie mich fragen, dann braucht der eine Frau, und zwar eine, die ihn mal richtig an die Kandare nimmt.«
    Kinder und Betrunkene, dachte ich, und altersenthemmte Nachbarinnen.
    Weder Anoushka noch ich wussten, was zu sagen oder wohin zu blicken. Also gehorchte ich einfach gewissen Notwendigkeiten und ließ mich aufs Bett sinken, mit dem Rücken gegen die Wand.
    »Das Hotel war sehr schön«, begann Anoushka zu erklären, etwas schüchtern, etwas entschuldigend, »doch …«
    »Sag nicht, dieser schmierige Rezeptionist hat dich vor die Tür gesetzt!«, wütete ich.
    »Nein, aber mein Geld ist sehr knapp. Und als du am Morgen nicht gekommen bist, bin ich zu deiner Wohnung, und da war niemand, nur die Katze, also habe ich gewartet.«
    »Und da hab ich gesagt, Kindchen, hab ich gesagt, in so einer Räuberhöhle kannst du nicht wohnen«, erinnerte sich Möhrchen lebhaft. Sie stand immer noch an der Tür, und ich hatte weder große Lust, sie hereinzubitten, noch den Nerv, sie rauszujagen. Oder auch nur ansatzweise Bock, sie über die etwas heikle Natur des Verhältnisses zwischen Anoushka und mir aufzuklären.
    »Ja, das ist ein bisschen dumm gelaufen«, bekannte ich. »Aber die Operation musste wohl sein.« Nur eine Stunde später, hab ich mir sagen lassen, und ich wäre in Dr. Korthners Abteilung gelandet. Immerhin in dem halbwegs frischen Zustand, den er sich ausgebeten hatte.
    »Und dann war Edna so nett, für mich mitzukochen, und für die Katze auch.«
    »Ich wär da vorsichtig«, raunte ich. »Die Katze zumindest kriegt immer Durchfall von Ednas Küche.«
    Ein sichtlicher Ruck der Entrüstung ging durch Anoushka, bis ich ihr bedeutete, das nicht so ernst gemeint zu haben.
    »Ich geh dann mal«, verabschiedete sich Möhrchen endlich. »Ich hab da noch was auf dem Herd stehen.«
    Da waren’s nur noch wir zwei. Wir zwei und eine plötzliche, unerklärliche Verlegenheit, mitten im Zimmer.
    »Sind das Medikamente?« Anoushka wies auf die Plastiktüte mit meinen Apothekenbesorgungen.
    »Ja, und irgendwelche Schonkost.« Ich griff mir die Tüte und holte ein Fläschchen Tramal-Tropfen und eine dicke Plastikdose voll Astronautennahrung hervor.
    »›Mit warmem Wasser anrühren‹«, las ich ohne jegliche Begeisterung vom Etikett ab und reichte die Dose an Anoushka weiter, die sich unverzüglich an die Zubereitung machte. Mit großem Ernst. So wie alles, was sie tat. Ich beobachtete sie unter halbgeschlossenen Lidern hervor. So schmal, so ernst. Dann musste ich mich daran erinnern, dass sie frische Witwe und wahrscheinlich die ganze Zeit am äußersten Rande ihrer Fassung war, und zwang mich, mein nur unzureichend kaschiertes Glotzen einzustellen.
    »Hier.« War ich eingenickt? Na, egal. Anoushka reichte mir ein Schüsselchen voll grünlichem Pamps, ich nahm einen Löffel davon, und ab da hätte man mir jegliche Art von Raumfahrt nicht mal mehr geschenkt andrehen können. Was immer diese Rezeptur beinhaltete, es war gründlich, ja methodisch von jeglichem Reiz bereinigt worden, angefangen beim Geschmack. Trotzdem kochte die Substanz in meinem Magen auf, dass es

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