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Bis zum Hals

Bis zum Hals

Titel: Bis zum Hals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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mich nicht überrascht hätte, Schaum aus meinen Ohren laufen zu spüren.
    Und alles, all das, war Vonscheidts Schuld.
    Anoushka bückte sich und zog ihren Koffer unterm Bett hervor.
    »Wo willst du hin?«, fragte ich alarmiert.
    »Ich gehe wieder ins Hotel.«
    »Ja, aber … wir könnten noch … sollten noch … ich wollte noch …«
    »Du musst ruhen«, entgegnete sie, ihren Koffer in beidhändigem Griff quer vor sich, die Augen dunkel und umwölkt.
    Ich wollte nicht, dass sie ging. Ich hatte mich nicht aus dem Krankenhaus hergeschleppt, um sie nur so zwischen Tür und Angel zu erleben. Ich wollte, dass sie blieb, ich wollte, ich verdiente eine Gelegenheit, ihr zu beweisen, dass mehr in mir steckte, als was sie bis jetzt von mir zu Gesicht bekommen hatte, diese wilde Mixtur aus krasser Inkompetenz, chaotischer Lebensführung und vorzeitiger Gebrechlichkeit.
    »Aber … du kannst doch hierbleiben«, wiederholte ich lahm, was ich schon einmal vorgeschlagen hatte, und erntete das gleiche bestimmte »Nein, das geht nicht«, das zu erwarten gewesen war, und dann klappte die Tür ins Schloss und ich fand mich allein, für die Nacht. Selbst die Katze hatte sich nach nebenan verzogen, wie immer, wenn auch nur die dünnste Chance bestand, dass mir ihre Nähe willkommen sein könnte.
    Na, scheiß drauf, wenn schon allein, da kann man dann auch gleich das Beste draus machen, war immer schon meine Philosophie, also schlurfte ich bedächtig raus auf den Balkon, senkte meinen Arsch in Zeitlupe auf das alte Sofa, das ich für solche Gelegenheiten unterm Fenster geparkt habe, und knackte den Verschluss von dem Fläschchen mit Tropfen, die Dr. Korthner so reizend gewesen war mir zu verschreiben.
    Ich träufelte mir ein paar auf die Zunge, unverdünnt und gallebitter, und nach einem Weilchen ging es spürbar aufwärts mit mir, der Wundschmerz verlor sich, und die Welt nahm, alles in allem, etwas freundlichere Züge an. Also schluckte ich noch ein paar, die waren schon nicht mehr ganz so bitter, und Gelassenheit stellte sich ein, in Mengen. Was immer mein Haupt umwölkt haben mochte, klärte sich, verschwand wie Dunst, wenn der warme Wind einsetzt. Noch ein paar, nur ein paar, gar nicht mal viele, und selbst der Lärm und Gestank meiner Nachbarn bekam irgendwie heimelige Züge. So ist es halt bei uns im Ruhrpott, miefig, prollig, laut und doch so menschlich, und ich lehnte mich zurück und gab mich einem wohligen Seufzen hin, und als ich das nächste Mal die Augen aufschlug, war heller Tag und das Telefon klingelte.
     
    *
    »Die Russen wollen, dass wir den Leichnam freigeben.«
    Menden klang wie immer am Telefon. Als ob er sich jedes einzelne an mich gerichtete Wort gegen erklärten inneren Widerstand abringen müsse.
    »Welche Russen?« Ich hielt das Fläschchen ins grelle, von der gegenüberliegenden Fassade reflektierte Licht. So gut wie nichts drin in diesen Endverbraucherpackungen. Ich ärgerte mich, nicht von Anfang an auf Verschreibung eines ganzen Liters von dem Zeugs gepocht zu haben. Und die Wirkung war auch verpufft, und das ärgerte mich noch mehr.
    »Das russische Konsulat hat uns eine ganze Delegation auf den Hals gehetzt, denen ich erklären durfte, dass wir den Leichnam nicht freigeben können, solange Sie Ihre blödsinnigen Behauptungen aufrechterhalten. Und, Kryszinski, ob Sie’s glauben oder nicht, aber das Ganze nervt inzwischen.«
    »Was wollen die mit der Leiche?«
    »Identifizieren und in die Heimat überführen, wie ich es verstanden habe.«
    »Da können Sie den Herrschaften ausrichten, dass sie zu spät dran sind. Ich hab hier jemanden, der beides erledigen wird.«
    »Wen?«
    »Seine Frau.«
    »Seine Frau? «
    »Na ja. Seine Witwe.«
    »Seine Witwe? Wo zum Teufel haben Sie die her, Kryszinski?«
    »Ich ermittle in ihrem Auftrag die Hintergründe der Ermordung ihres Mannes.«
    »O nein, nein, nein. Sie können ermitteln, was Sie wollen, Kryszinski, doch zuallererst bringen Sie die Frau mal zu mir. Und zwar noch heute. Haben wir uns verstanden?«
    Eine Fragestellung, die eindeutig über das akustisch-intellektuelle Verstehen hinausgeht und infamerweise ein Einverständnis impliziert. Sehr beliebt bei Vorgesetzten und Pädagogen. Weil schwer zu kontern.
    Auf dem Notizblock vor mir auf dem Schreibtisch war in kleiner, außerordentlich akkurater und doch femininer Schrift eine Handynummer notiert, darunter ein Name: Vonscheidt. Bitte anrufen, stand dahinter, so akkurat und doch so feminin, und ich ertappte

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