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Bis zum Hals

Bis zum Hals

Titel: Bis zum Hals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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dabei grundsätzlich von mir fortschiebe, ist der, wie lange genau das jetzt her ist.
    Jedenfalls war mir aus den genannten Gründen die Hucke von Anfang an egal, ich hab nie so etwas wie Heimatgefühle oder Besitzansprüche mit ihr verbunden. Wahrscheinlich ganz gut so, bin ich doch schon wesentlich öfter, als es irgendjemandem lieb sein kann, heimgekommen in ein von oben bis unten durchwühltes Chaos.
    Ein Novum war, die Tür aufzustoßen und die Wohnung bis zur Unkenntlichkeit aufgeräumt vorzufinden. Einzig der Schmelz in der Stimme meines Haustiers gab mir die notwendige Sicherheit, mich nicht in der Etage geirrt zu haben.
    Ich sah mich um, erst mal sprachlos vor Wut.
    Das Bett – gemacht, bezogen mit einer Tagesdecke, die zu besitzen mir komplett entfallen war. Die Fenstervorhänge – weiß. Und das, nachdem ich kürzlich erst zu der festen Überzeugung gelangt war, sie seien schon am Tag der Anschaffung senfgelb bis bräunlich gewesen. Der Boden – gefegt, gewischt, gewienert. Die Küche: blank. Das Geschirr: nicht nur gespült, sondern weggeräumt. Genauso wie der Müll und das ganze, viele, ach so lange gesammelte Leergut. Selbst Näpfe und Klo der Katze sahen einladend aus, geradezu appetitlich. Ich wagte erst mal gar nicht, ins Bad zu blicken. Keine Socke, keine Hose, keine Zeitschrift lag mehr herum, das Schlachtfeld meines Schreibtischs war reduziert auf das Telefon, einen aufgeschlagenen Notizblock und einen Kugelschreiber, den ich nicht ausprobieren musste, um zu wissen, dass er schrieb, dass er funktionierte, etwas, das es hier schon seit Menschengedenken nicht mehr gegeben hatte.
    Ich hätte schreien können. Alle Gemütlichkeit, aller Charakter meiner Behausung war zum Teufel. Die Rockkonzert-, Bikes-und-Titten-Poster abgenommen und dafür einen Kunstdruck übers Bett genagelt, und es hätte genauso gut ein Hotelzimmer sein können. Die billige Sorte, irgendwo an der Ausfallstraße einer Stadt, deren Namen man nicht behalten kann oder will. Ich ging zum – geputzten! – Fenster und zog beide Flügel weit auf, um dem abendlichen Stadtmief Gelegenheit zu geben, diesen unerträglich synthetischen Geruch von Reinlichkeit zu verdrängen.
    »Du bist es!« Ich fuhr herum, sah Anoushkas Augen aufleuchten und dann nichts als Weiß, weil mir ein Fotoblitz wie zwei spitze Finger in die Pupillen fuhr, und die paar Sekunden von Blendung und Verblüffung, die folgten, gaben mir Gelegenheit, kurz darüber zu reflektieren, dass abrupte Bewegungen momentan überhaupt nicht mit der Naht in meinem Wanst harmonierten, und dann noch, dass Anoushka den von Pummel vergessenen Baseballschläger quer über ihrer rechten Schulter hielt.
    »Wir dachten, es wären wieder diese beiden Männer«, krächzte eine Stimme, und mit zurückkehrender Sehfähigkeit nahm ich wahr, wie Anoushka den Basie sinken ließ und links hinter ihr Edna Mohr ihr Ungetüm von einem Fotoapparat. Wäre ich ein Einbrecher gewesen, hätte ich jetzt wahrscheinlich eine Delle im Schädel, und der Untersuchungsrichter bekäme mit mir zusammen gleich noch einen hübschen fotografischen Beweis meines Tuns angeliefert.
    Doch Anoushka war da, sie hatte auf mich gewartet, sie brauchte mich noch. Das war es, ging mir auf, das war es in Wahrheit, wofür ich aus dem Krankenhaus abgehauen war. Das war in diesem Augenblick alles, was zählte. Dafür hätte ich sogar einen Hieb auf die Omme in Kauf genommen.
    Ich versuchte mich in der seltenen Übung eines Lächelns und ihre Miene verdüsterte sich.
    »Du siehst schlimm aus«, fand sie. Ich ließ das mit dem Lächeln wieder. Auch wenn sie wahrscheinlich etwas anderes gemeint hatte. »Wo warst du?«
    »Krankenhaus«, antwortete ich.
    »Wir dachten, das wären wieder die beiden Männer«, wiederholte meine Nachbarin. Bis zu ihrem Einsatz gerade als wandelnde Blendgranate war mir Edna Mohr noch nie als etwas anderes vorgekommen als eine ganz reizende alte Schachtel mit einem Gedächtnis wie ein Spülkasten und ganz allgemein nicht viel mehr als einem Pusterohr zwischen den Ohren. Eine rundliche, rosige Rentnerin, die praktisch den ganzen Tag umwabert von fettigem Rauch an ihrem Herd steht und irgendetwas brutzelt.
    »Sie suchen nach einem Autoschlüssel, haben sie gesagt.«
    Der Hummer-Schlüssel! Mein Auge schnellte zum losen Parkettriemchen. Meine letzte Chance, Vonscheidt noch Geld aus dem Kreuz zu leiern, lag entweder darunter oder war zum Teufel. Unter nasalem Grunzen wurde mir bewusst, dass von allen abrupten

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