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Bis zum Hals

Bis zum Hals

Titel: Bis zum Hals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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seinem Rechner hockte und mir schwer atmend eingestehen musste, das Scuzzi-typisch unglaublich witzig gemeinte, sackdämliche Passwort vergessen zu haben. Also tat ich das Logische und wählte sein Handy an, wartete, sprach »Ich hasse dich, ich hasse dich, ich hasse dich, du blödes Arschloch, und ich wünsche dir die Krätze an den Hals!« auf seine Mailbox und tappte dann, Stufe für Stufe, die verfluchten fünf Etagen wieder runter.
    Da wird jeden zweiten Tag ein neues Kommunikationsmittel auf den Markt geworfen, eins multifunktionaler als das andere, doch wenn du wirklich mal jemanden erreichen willst, kannst du im Grunde genauso gut die Trommel schlagen oder den Qualm eines Lagerfeuers mit einer Wolldecke manipulieren.
     
    Es war dunkle Nacht gewesen und ich nicht unbedingt hellauf nüchtern, als ich Leonid hier heraus an die Duisburger Sechs-Seen-Platte gefahren hatte, doch ich fand den Platz ohne große Schwierigkeiten wieder, diese Ansammlung einförmiger beräderter Hütten, die wie ein Geschwür das eine Ufer und damit im Grunde den ganzen See entstellte.
    Wenn es einen Menschenschlag gibt, der mir nie wirklich etwas getan hat, den ich aber trotzdem lieber heute als morgen mitsamt seinen Behausungen in die Kanalisation gespült sehen würde, dann sind das Camper. Dauer-Camper vor allem. Diese Leute haben so eine hirnlos selbstzufriedene Art, sich breitzumachen, in jovialer Gemächlichkeit die Landschaft unter ihren rollenden Dixie-Klos zu ersticken, die das Übelste aus mir herausholt.
    Leonid lag im Schatten einer Markise in einer Hängematte, trank Tee, rauchte und las, als ich herantrat. Rings um uns herum waren die anderen Bewohner der Siedlung mit ihrem üblichen Tagewerk beschäftigt. Das heißt, ein Großteil saß, mit dem Arsch wie angewachsen, in Plastikformstühlen vor Plastikformtischen und verzehrte irgendetwas, während der andere Teil mit Sortierkörben voll Abwasch vor dem Bauch herumwatschelte. Camper watscheln, alle. Ich weiß nicht wieso, aber es scheint Pflicht zu sein, ein unerlässliches Element sozialer Bindung. Wenn du nicht stundenlang sitzen und Nahrung vertilgen und anschließend satt über den Platz watscheln kannst, brauchst du dir um die Anschaffung eines Mobilheims erst gar keine Gedanken zu machen. Du wirst niemals das Herz dieser Gemeinschaft erreichen.
    »Kristof!« Leonid klappte sein Buch zu, legte sich die Lesebrille auf den Bauch. »Setz dich! Tee?« Er deutete auf die Stufe zu seinem Wohnwagen, von da zu Kanne und Gläsern auf einem Tablett im ungemähten Gras. Ich brauchte mich nicht umzusehen, um zu wissen, dass alle anderen Grasflächen des Geländes kurzgeschoren waren.
    »Sag mal«, fragte ich und goss mir einen Tee ein, »kennst du viele Leute hier?«
    Er hustete kurz, zwischen zwei Zügen an seiner Selbstgedrehten. »Nein, Kristof«, antwortete er dann. »Aber glaub mal, alle kennen mich. Und alle reden über mich. Und das«, er grinste mit fleckigen Zähnen, »einzig und allein, weil ich dem Gras seinen Willen lasse.«
    Der Tee war ziemlich heiß, und nach einem langen, tiefen Atemzug beschloss ich, mit dem zweiten Schluck besser noch ein bisschen zu warten.
    »Du bist blass, Kristof«, beobachtete Leonid und schwang die Füße aus der Hängematte. »Aber ich hab da etwas, das wird dir die Wangen rot machen.«
    Ich winkte ab, doch er stand trotzdem auf, verschwand kurz im Wagen und kam mit einer verschnörkelten Flasche aus klarem Glas voll noch klareren Inhalts wieder raus.
    Lässig schlackerte er den Tee aus seinem Glas und wollte mit meinem genauso verfahren, doch ich hielt es fest. Er zuckte die Achseln, goss sich ordentlich einen ein, murmelte einen Toast auf die Gesundheit und ruckte sich den Fusel in den Hals.
    »Aaah«, machte er wohlig, zupfte eine neue Zippe aus der Hemdtasche und zündete sie an. »Man merkt, dass du kein Russe bist«, stellte er, wenn auch freundlich, fest.
    »So richtig hab ich das noch nie bereut«, gestand ich, und er lachte.
    »Wer will schon Russe sein?«, feixte er. »Versoffene Verbrecher, einer wie der andere.« Und er kippte sich noch einen ins Glas und anschließend hinter die Binde. »Bist du sicher, dass du nicht doch einen möchtest?«
    Ich war. Dann rückte ich damit heraus, warum ich hergekommen war.
    »Ah, der Brief.« Leonid ging ihn holen. »Hier. Das ist alles, was auf dem Papier stand, aus einem nicht ganz fehlerfreien Russisch so gut wie möglich ins Deutsche übertragen.«
    Ich las. Es war in der Tat nicht

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