Bis zum Horizont
Sie klang so enttäuscht, wie eine Mutter, die die ersten Schritte ihres Kindes verpasst hat.
»Es war nicht der Rede wert«, sagte ich. »Die Ärztin war eben hier. Sie hat gesagt, dass ich das Krankenhaus morgen verlassen kann.«
Darüber freute sie sich sichtlich. »Gut. Zu Hause ist alles vorbereitet. Brauchen Sie sonst noch irgendetwas?«
»Die Medikamente, die Dr. McDonald mir verschrieben hat.« Ich deutete auf den Tisch, auf dem die Rezepte lagen.
Engel stand auf, nahm sie und steckte sie ein. »Kein Problem.«
»Meine Brieftasche ist in dem kleinen Reißverschlussfach außen an meinem Rucksack. Da ist eine Kreditkarte drin.«
»Okay«, sagte sie. »Ich werde mich gleich darum kümmern.«
Als sie gegangen war, fiel mir auf, dass sie meine Karte nicht mitgenommen hatte.
Siebtes Kapitel
Es gibt Menschen, die in unser Leben treten und so willkommen sind wie eine kühle Brise im Sommer – und ungefähr genauso lange bleiben.
Alan Christoffersens Tagebuch
Am nächsten Abend warteten Norma und ich ungeduldig auf Engel. Engel hatte vorgehabt, etwas früher von der Arbeit nach Hause zu gehen. Als sie um Viertel vor sechs eintraf, war sie völlig außer Atem. »Entschuldigen Sie die Verspätung«, keuchte sie. »Ich hatte BG-Probleme.«
»BG?«, fragte ich.
»Blutglukose«, sagte Norma. »Sind Sie Diabetikerin?«
»Typ eins. Meine Werte waren heute Nachmittag ein bisschen niedrig.«
»Sie leben nicht allein, oder?«, fragte Norma.
»Doch.«
Norma legte den Kopf auf die Seite. »Das ist wirklich gefährlich. Jetzt bin ich erst recht froh, dass Alan bei Ihnen wohnen wird.«
»Das bin ich auch«, sagte Engel. Sie hielt eine Papiertüte hoch. »Ich war in der Apotheke.« Sie öffnete meinen Rucksack und steckte die Medikamente hinein.
»Ich muss mich nur noch anziehen«, sagte ich.
»Wir lassen Ihnen ein bisschen Privatsphäre«, sagte Norma.
Ein paar Minuten später kehrten die beiden zurück. »Fertig?«, fragte Norma und schob einen Rollstuhl zur Tür herein. Engel folgte ihr.
»Möchten Sie Key West mitnehmen?«, fragte Norma, während sie die Bilder abnahm.
Ich wandte mich an Engel. »Gibt es an den Wänden bei Ihnen zu Hause Platz dafür?«
»Jede Menge.«
»Okay. Dann nehme ich Key West mit.«
»Ich hole schon mal den Wagen«, sagte Engel. Sie nahm meinen Rucksack mit, der fast ein bisschen zu schwer für sie zu sein schien. »Wir treffen uns unten«, sagte sie und ging hinaus.
Ich stand auf, ging zum Rollstuhl und setzte mich.
»Wissen Sie, ich werde Sie vermissen«, sagte ich zu Norma.
»Ich Sie auch. Werden Sie mir eine Karte schicken, wenn Sie in Key West angekommen sind?«
»Ja.«
Norma rollte mich zum Aufzug und drückte auf den Knopf für die Eingangshalle. Einen Augenblick später schob sie mich aus dem Krankenhaus.
Ich erkannte Engels Wagen von unserer ersten Begegnung wieder. Der ältere, silbergraue Chevrolet Malibu rollte in die Ladezone vor dem Eingang des Krankenhauses. Engel parkte, stieg aus und ging um den Wagen, um die Beifahrertür zu öffnen.
Über die Bordsteinkante zu treten, machte mir auf einmal Angst. »Ich schaffe das«, sagte ich eher hoffnungsvoll als wirklich überzeugt. Ich stützte mich auf die Armlehnen des Rollstuhls und stemmte mich hoch. Es war erschreckend, wie sehr jede Bewegung immer noch schmerzte. Ich würde nicht über Nacht wieder in Form kommen. Ich stand einen Augenblick lang da und prüfte mein Gleichgewicht.
»Alles klar?«, fragte Norma.
»Kein Problem.«
»Viel Glück«, sagte sie.
»Danke. Für alles.«
Sie beugte sich vor, und wir umarmten uns. Dann trat ich vorsichtig über die Bordsteinkante und stieg in den Wagen. Ich hob die Füße hinein. Engel beugte sich über mich und schnallte mich an, dann schloss sie die Wagentür.
Norma winkte, dann schnappte sie sich den Rollstuhl und schob ihn zurück ins Krankenhaus. Engel nahm auf dem Fahrersitz Platz und ließ den Wagen an. »Norma ist eine großartige Krankenschwester.«
»Ja, das ist sie«, sagte ich.
»Jetzt bin ich an der Reihe, mich um Sie zu kümmern.« Sie legte den Gang ein, und wir fuhren zu ihr nach Hause.
Achtes Kapitel
Ich fühle mich wie ein Drachen, der in einem Hurrikan gefangen ist.
Alan Christoffersens Tagebuch
Engel wohnte eine Viertelstunde vom Krankenhaus entfernt in einem kleinen Vorort im Osten der Stadt. Als wir unterwegs Bahngleise überquerten, hielt ich mir den Bauch und verzog das Gesicht. Engel warf mir einen mitleidigen Blick zu.
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