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Bis zum Horizont

Bis zum Horizont

Titel: Bis zum Horizont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Paul Evans
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»Entschuldigung«, sagte sie. »Wir haben’s gleich geschafft.«
    Während wir fuhren, flog die Stadtlandschaft wie ein einschläfernder Film an mir vorbei. Mein einziger Gedanke war, wie sehr ich es hasste, in Spokane zu sein. Die Stadt erschien mir ebenso grau wie das Wetter, was allerdings eher eine Reflexion meines Gemütszustandes war. Ich war schon zweimal in Spokane gewesen und hatte meinen Aufenthalt dort jedes Mal genossen, aber diesmal erschien mir die Stadt nicht sehr einladend.
    Spokane ist die zweitgrößte Stadt in Washington und ähnelt Seattle in vielerlei Hinsicht – bis auf die Bevölkerung, die Geschäftswelt, die Wirtschaft, das Hafenviertel, die Politik, den Kaffee … Na ja, tatsächlich ähnelt Spokane Seattle überhaupt nicht.
    Ich bin sicher, die Leute, die hier leben, sind ebenso warmherzig, intelligent und kultiviert wie die Menschen in Seattle, vielleicht sogar noch kultivierter, denn man muss ihnen zugutehalten, dass sie die Welt weder mit Grunge-Musik noch mit Sir Mix-a-lot beglückt haben. Es ist einfach anders. Völlig anders.
    Wie ich bereits sagte, ich hatte kein Problem mit Spokane an sich, sondern vielmehr damit, dass ich dort festsaß . Ich lief noch immer vor Seattle davon, und nur ein paar Meilen vor der Grenze zwischen Washington und Idaho hatte man mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Ich wollte diesen Bundesstaat endlich hinter mir lassen.
    Engels Wohnung befand sich in einem alten, A-förmigen Gebäude, nur ein paar Meilen nördlich der Gonzaga-Universität in einer von Kiefern gesäumten Straße namens Nora. Das Haus war ein Schindelbau, der in drei Wohnungen aufgeteilt war. Es hatte ein steiles Schrägdach und einem abblätternden gelben Anstrich. Da die meisten anderen Häuser in der Straße aus rotem Ziegelstein errichtet waren, hob es sich deutlich von den anderen ab. Die Fenster waren seltsam schmal und ungleichmäßig, manche waren höher als andere. Das Haus verfügte über einen ansehnlichen Vorgarten, und rundherum wucherten Stechpalmen.
    Für ein Universitätsviertel schien die Gegend sehr ruhig zu sein, was vermuten ließ, dass die umliegenden Häuser von Studenten bewohnt waren, die entweder ihr Studium ernst nahmen oder noch verkatert waren von der Party am Vorabend. Ich hoffte auf Ersteres.
    Etwa die Hälfte der Häuser war für Halloween geschmückt, und ich sah riesige kunstvoll arrangierte Spinnennetze und andere gruselige Details. Die Dekorationen vor Engels Wohnhaus beschränkten sich auf einen getrockneten Maisstängel, der neben der Eingangstür stand.
    Engel lenkte den Wagen an die Bordsteinkante vor ihrem Haus und stellte den Motor ab. »Wir sind da. Ich mache dir die Tür auf.« Sie ging um den Wagen herum und öffnete meine Tür.
    Unter Schmerzen verlagerte ich meinen Körper seitlich, aber damit waren meine akrobatischen Fähigkeiten auch schon erschöpft. Ich sah zu ihr hoch. »Kannst du mir behilflich sein?«
    »Natürlich. Ich zähle bis drei, und dann ziehe ich«, sagte sie.
    »Okay.« Ich setzte die Füße auf die Straße.
    »Eins, zwei, drei …« Sie zog mich nach hinten, während ich mich vorbeugte und aufstand. Ein lähmender Schmerz schoss durch meinen Körper und raubte mir den Atem.
    »Augenblick noch«, sagte ich.
    »Alles okay mit dir?«
    »Gleich.« Als der Schmerz nachließ, sagte ich: »Alles okay. Weiter.«
    Sie stellte sich neben mich und nahm meinen Arm. »Gehen wir.« Ich trat über die Bordsteinkante auf den vergilbten Rasen. Dort hielt ich einen Moment inne und blickte den Gehsteig hinunter. Irgendwann würde ich diesen Weg entlanggehen, aber im Augenblick erschien es mir schon eine enorme Herausforderung, es auch nur bis zum Haus und dann die Stufen hoch zu Engels Wohnung zu schaffen.
    Ich schlurfte über einen Betonweg zu der Treppe, die zu Engels Wohnung hinaufführte und ebenfalls aus Beton gegossen war. Sie war schmal und steil und hatte ein schmiedeeisernes Geländer, aus dem Rost in den Zement sickerte. Ich klammerte mich daran fest und betrachtete skeptisch die erste Stufe.
    »Bist du bereit dafür?«, fragte sie.
    »Jetzt heißt es, gehen oder kriechen.«
    »Lass dir von mir helfen. Leg den Arm um meine Schulter.«
    Ich legte den rechten Arm um ihre Schulter und hielt mich mit der linken Hand am Geländer fest. Ich holte einmal tief Luft. »Los geht’s.«
    Ich schaffte es bis zum Treppenabsatz, wobei sie jeden meiner Schritte mit aufmunternden Worten begleitete.
    »Du machst das sehr gut«, sagte sie.

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