Bis zum Horizont
geschlafen.«
»Dann lasse ich dich jetzt allein. Es hat gutgetan, dich zu sehen.«
»Es hat auch gutgetan, dich zu sehen.«
Sie stand auf. »Du musst noch diese Steuerunterlagen unterzeichnen. Wollen wir das noch heute Abend erledigen oder lieber morgen Früh?«
»Morgen Früh ist mir lieber«, sagte ich. »Wann fährst du zurück?«
»Ich hatte an morgen Nachmittag gedacht. Mein Bruder ist eben erst aus der Reha gekommen, und er wohnt bei mir.«
»Immer die gute Samariterin«, bemerkte ich.
»Nicht immer«, erwiderte sie. »Frühstück gegen zehn?«
»Wunderbar. Gute Nacht, Falene.«
»Gute Nacht.« Sie beugte sich vor und küsste mich auf die Wange, dann drehte sie sich um und ging hinaus. Die Köpfe etlicher Männer schnellten herum, als sie an ihnen vorüberging. Sie drehte sich noch einmal um und winkte mir zu.
Einer der Männer sagte zu mir: »Sie sind ein Glückspilz.«
Ich sagte nichts dazu. In den letzten zwei Monaten hatte ich meine Frau, meine Firma und mein Zuhause verloren, ich war zusammengeschlagen und mit einem Messer verletzt worden. Und jetzt sollte ich auf einmal ein »Glückpilz« sein. Auf dem Weg zu Falenes Auto musste ich lachen.
Einunddreißigstes Kapitel
Wenn ich in Versuchung bin, mein Leben mit dem von Steve Jobs zu vergleichen, rufe ich mir in Erinnerung, dass er nie eine Falene hatte.
Alan Christoffersens Tagebuch
Am nächsten Morgen holte ich Falene mit ihrem BMW vorm Hotel ab. Sie hatte bereits ausgecheckt und wartete mit ihrem Gepäck neben dem Eingang des Davenport. Ich warf ihre Sachen auf die Rückbank des Wagens, und wir fuhren zum IHOP. Unterwegs erzählte Falene mir, dass eine der führenden Model-Agenturen sie entdeckt hatte und wollte, dass sie nach New York zog.
»Und du wirst es tun, stimmt’s?«, fragte ich.
Sie sah unentschlossen aus. »Ich weiß nicht. Im Augenblick braucht mich mein Bruder. Wir werden sehen.«
Nach dem Essen unterschrieb ich die Steuerunterlagen, und Falene fuhr mich zurück zu Nicoles Haus. Wir hielten am Straßenrand.
»Danke fürs Kommen«, sagte ich. »Es war toll, dich zu sehen.«
»Es war toll, dich zu sehen«, erwiderte sie. »Das nächste Jahr wird für dich bestimmt besser werden als dieses.«
»Da hast du die Messlatte nicht sehr hoch gelegt«, sagte ich.
»Vermutlich nicht«, lachte sie. Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht. »Vergiss nicht, darüber nachzudenken, ob ich dich in Key West treffen darf.«
»Ich gebe dir Bescheid.«
»Und du rufst jede Woche an.«
»Jede Woche. Versprochen.«
Sie beugte sich vor, und wir umarmten uns. »Pass auf dich auf, Alan.«
»Und du auf dich.«
Ich stieg aus dem Wagen und blieb auf dem Bürgersteig stehen. Ich winkte ihr noch einmal zu, und sie winkte zurück. Dann fuhr sie los. Als sie um die Ecke gebogen war, ging ich zurück in die Wohnung. Sie war wirklich entzückend. Ich fragte mich, wann ich sie wiedersehen würde.
Zweiunddreißigstes Kapitel
Es gibt einen chinesischen Fluch: Mögest du in interessanten Zeiten leben . Mir wäre es lieber, wenn es ein langweiliges Jahr werden würde.
Alan Christoffersens Tagebuch
Silvester ist eine Nacht, in der viel getrunken wird und in den Polizeizentralen die Drähte heißlaufen. Nicole arbeitete bis acht Uhr abends, ungefähr bis zu der Zeit, ab der »es langsam interessant wird«, wie sie sagte.
Bill wollte ursprünglich spätestens um halb neun bei uns vorbeikommen, aber er kam nicht. Wir wunderten uns nicht darüber, da er Nicole früher am Tag angerufen und gesagt hatte, er fühle sich ein wenig angeschlagen und wolle sich vielleicht noch ein bisschen hinlegen. »Ihr jungen Leute haltet mich zu sehr auf Trab«, sagte er.
Christine war aus Portland zurück und kam gegen sechs vorbei, um mir zu helfen, Kuchen-Donuts zu backen. Das war eine Tradition, die McKale und ich geliebt hatten. Wir rollten den Teig aus, schnitten ihn zurecht und frittierten die Teigkringel in einer Minifritteuse. Als sie goldbraun waren, legten wir sie auf Küchenkrepp in der Küche aus. Wir machten fast zehn Dutzend – genug für die nächsten Monate.
Rückblickend betrachtet, glaube ich, dass es bei unserer Party an jenem Abend nicht so sehr darum ging, das neue Jahr zu begrüßen, sondern vielmehr darum, das alte hinter uns zu lassen – ein Jahr, das weder Nicole noch ich je so gründlich vergessen würden, wie wir es gern wollten. Eine Silvesterfeier war die beste Möglichkeit, die mir einfiel, um dem vergangenen Jahr einen Pfahl durchs Herz
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