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Bis zum Horizont

Bis zum Horizont

Titel: Bis zum Horizont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Paul Evans
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den Osten. Da lebt meine Tante.«
    »Wohin im Osten?«
    »Boston.«
    »Das ist weit, wenn man trampen will.«
    Sie zuckte die Schultern. »Ich habe kein Auto.«
    »Du hättest fliegen können. Oder einen Bus nehmen.«
    »Das hätte ich, wenn ich Geld hätte.«
    »Wie alt bist du?«
    Meine Frage schien sie zu beunruhigen. Sie hörte zu essen auf, dann sah sie mich an. »Sie werden mir doch nichts antun, oder?«
    »Habe ich diese Typen nicht eben davon abgehalten, dir etwas anzutun?«
    »Na ja, vielleicht wollten Sie mich nur für sich selbst haben.«
    »So ein Typ bin ich nicht.«
    »Ich dachte, alle Typen sind so.«
    »Nein, nicht alle«, sagte ich.
    Einen Augenblick später sagte sie: »Ich bin fast achtzehn.«
    »Wo sind deine Eltern?«
    »Meine Mom ist tot. Wo mein Vater ist, weiß ich nicht«, sagte sie mit gleichgültiger Stimme, während sie noch einmal von ihrem Sandwich abbiss.
    »Das tut mir leid«, sagte ich.
    »Was?«, fragte sie.
    »Hm?«
    »Was tut Ihnen leid?«, fragte sie. »Dass meine Mom tot ist oder dass ich nicht weiß, wo mein Vater ist?«
    »Beides.«
    »Mein Vater ist mir egal. Ich weiß nicht einmal, wer er ist. Nach allem, was ich weiß, könnten Sie es sein. Zumindest, wenn Sie älter wären. Und es tut mir nicht leid, dass meine Mutter tot ist. Das tut niemandem leid.«
    Ich sagte nichts, sondern sah sie nur an. Dann sagte ich: »Das tut mir auch leid.« Ich atmete aus, und jetzt konnte ich meinen eigenen Atem in der kalten Luft sehen. Ein paar Minuten sprach keiner von uns ein Wort, während sie weiteraß. »Wie schmeckt dein Sandwich?«, fragte ich schließlich.
    »Gut, danke.«
    »Ich habe auch noch einen Hershey’s-Schokoriegel, wenn du willst.«
    »Das klingt echt gut.«
    Ich holte den Riegel aus meinem Rucksack und gab ihn ihr. »Hier, bitte sehr. Wenn du heute Nacht hierbleiben willst, kannst du gern im Zelt schlafen.«
    »Danke.« Sie nahm den Riegel und schälte ihn wie eine Banane. Sie nahm einen kleinen Bissen und sah dann zu mir hoch. »Und weshalb sind Sie von zu Hause weggelaufen?«
    »Wie kommst du auf die Idee, dass ich vor irgendetwas weglaufe?«
    »Sie sind ein netter Typ, Sie reden, als ob Sie schlau sind, und Sie sehen gut aus. Das heißt, es kann gar nicht sein, dass es nichts gibt, was Sie zurücklassen, eine Freundin und einen Job oder so. Daher müssen Sie vor irgendetwas weglaufen.«
    Ich war beeindruckt von ihrer Logik. »Ich war verheiratet.«
    »Oh.« Sie nickte, als würde sie es verstehen. »Schlimme Scheidung.«
    »Keine Scheidung. Sie ist gestorben.«
    Sie schien aufrichtig bestürzt zu sein. »Das tut mir leid. Woran ist sie gestorben?«
    »Es war ein Unfall. Ihr Pferd hat gescheut und sie abgeworfen.«
    »Das tut mir leid«, sagte sie noch einmal.
    »Mir auch. Sie war mein Ein und Alles. Ich habe nur für sie gelebt.«
    Sie schwieg einen Augenblick, dann sagte sie: »Es muss schön sein, jemanden zu haben, für den man lebt.«
    »Es ist schön, bis man diesen Menschen verliert.« Ich reichte ihr eine Flasche Wasser. Sie nahm einen großen Schluck und gab sie mir wieder. »Ich denke, ich werde mich schlafen legen«, sagte ich. »Wie ich schon sagte, du kannst gern im Zelt schlafen.«
    »Und wo werden Sie schlafen?«
    »Unter den Sternen.«
    »Aber hier draußen ist es kalt.«
    »Ich komme schon klar.«
    Sie sah zum Zelt. »Es macht mir nichts aus, wenn wir uns das Zelt teilen. Ich vertraue Ihnen. Außerdem wird es gemütlich sein.«
    Es gab mindestens ein Dutzend Gründe, sich das Zelt nicht zu teilen, aber die Kälte, die in der Luft lag, war überzeugend genug. »Na schön.«
    »Ist noch genug da für noch ein Sandwich?«
    »Na klar.«
    Ich machte ihr noch ein Sandwich, dann ging ich ins Zelt, zog mich aus und kletterte in meinen Schlafsack. Fünf Minuten später sagte sie: »Klopf, klopf.«
    »Du kannst reinkommen«, sagte ich.
    Sie warf ihren Schlafsack ins Zelt und kroch dann hinterher. Sie schlüpfte mit ihren Kleidern in den Schlafsack. Nach einer Minute sagte sie: »Das ist irgendwie schön.«
    »Das Zelt?«
    »Ja.« Sie schwieg wieder. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich bete?«
    »Nein.«
    »Ich bete normalerweise laut«, sagte sie. »Macht es Ihnen etwas aus?«
    »Nein.«
    Sie rollte sich auf den Bauch und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. »Lieber Vater im Himmel, danke für diesen neuen Tag. Danke für alles, was du mir gegeben hast. Danke, dass du mir heute Abend einen Engel geschickt hast. Ich bin dankbar für Alan und seinen Schutz und

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