Bis zum Horizont
Straßenschilder wusste ich, dass ich in der Nähe des Osteingangs des Parks war, aber ich war zu erschöpft, um ihn heute noch zu verlassen. Daher suchte ich mir im Wald einen Platz, um mein Lager aufzuschlagen. Der Bär wollte mir noch immer nicht aus dem Kopf gehen, und ich verbrachte eine unruhige Nacht, in der ich bei jedem Knacken eines Zweiges oder Kojotengeheul aufwachte.
Wie sich herausstellte, hatte ich weniger als eine Meile vom Osteingang entfernt gezeltet. Ich überquerte den Yellowstone River auf der Fishing Bridge, auf der passenderweise einige Angler standen, dann stattete ich dem Yellowstone General Store einen Besuch ab.
Obwohl ich den Park offiziell verlassen hatte, hätte ich es ohne die Ausschilderung gar nicht mitbekommen, da die Straße gleich in den Shoshone National Park überging. Mittags machte ich eine Pause, aß ein Sandwich und studierte meine Karte. Wenn ich ab jetzt jeden Tag ein paar Meilen mehr zurücklegte, konnte ich mein nächstes Ziel in drei Tagen erreichen: Cody, Wyoming.
Neunundvierzigstes Kapitel
Wenn ein Mensch in der Wildnis weint und niemand ihn hört, macht er dann überhaupt ein Geräusch?
Alan Christoffersens Tagebuch
Cody, Wyoming, ist nach dem berühmten (oder berüchtigten, je nachdem, welche Biografie man liest) William »Buffalo Bill« Cody benannt. Cody war ein Pionier und Showman, der die Romantik eines sterbenden Wilden Westens den Bewohnern des wilden Ostens nahebrachte und sie auch über die Grenzen Amerikas hinaus bekannt machte, bis hin zu den gekrönten Häuptern Europas. Seine Wild-West-Show war so populär, dass es hieß, sie hätte sogar die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und England verbessert.
Nachdem der Verleger Prentiss Ingraham den unersättlichen Appetit seiner Zeitgenossen auf alles Westernmäßige erkannt hatte, begann Cody, ein Abenteurer und geborener Selbstdarsteller, seine Karriere als fiktive Gestalt in den Groschenromanen jener Zeit. Es war eine Rolle, in die der echte William Cody hinschlüpfte wie in ein Paar bequeme Cowboystiefel.
Ich erreichte Cody gegen neun Uhr abends. Die letzten zweieinhalb Stunden war ich im Dunkeln unterwegs gewesen, was ich im Allgemeinen vermied, da sich auf dem warmen Asphalt nachts gern Schlangen ausstreckten. Ich hatte an jenem Tag über 30 Meilen zurückgelegt – beflügelt von den Lichtern der Großstadt. Ich sehnte mich nach einem warmen Zimmer, einem weichen Bett, einer langen, heißen Dusche und einer Mahlzeit, die ich nicht auswickeln musste.
Der Freeway ging in die Sheridan Avenue über, die Hauptstraße durch die Stadt. Cody ist eine echte Cowboystadt. Wir halten die Cowboys manchmal für Relikte der großen Vergangenheit unserer Nation vor und vergessen leicht, dass sie munter und lebendig sind – oder zumindest lebendig. Cowboys sind die eigenartigste Rasse, die mir auf meinen Reisen je begegnet ist. Sie haben ihre eigene Sprache, Kultur, Geschichte, Literatur und Kleidung – Hut, Wrangler-Jeans, Stiefel und große Gürtelschnallen, je größer, desto besser. Und sie haben ihren eigenen Gang, ein bisschen o-beinig und gebeugt, als hätten sie Rückenschmerzen.
Etwa eineinhalb Meilen hinter dem Ortseingang kehrte ich zum Abendessen ins Rib & Chop House ein. Meine Mahlzeit war reichhaltig und äußerst köstlich. Die Kellnerin hieß Kari und war eine junge, gut aussehende Krankenschwester in der Ausbildung, die unter der Bevölkerung von Cody ebenso fehl am Platz zu sein schien wie ich. Sie war seit Tagen der erste Mensch, mit dem ich redete.
Ich ließ mir Zeit beim Essen, und als ich schließlich aufstand, hatte ich einen Krampf in den Oberschenkeln. Ich ging (humpelte) ein paar Blocks weit bis zum Marriott und nahm mir ein Zimmer. In der Stadt fand ein Quilter-Kongress statt, und das Hotel war voller Quilter, die mir kulturell die passende Ergänzung zu den ganzen Cowboys zu sein schienen.
An jenem Abend nahm ich ein langes, heißes Bad im Whirlpool des Hotels. Als ich ankam, war zunächst noch ein anderer Mann im Pool. Es war, oh Wunder, ein Cowboy, und er trug seinen Hut. Er tippte ihn kurz an, als ich mich dem Pool näherte. Ich zog mein T-Shirt aus und warf es auf einen Plastikstuhl in der Nähe, dann stieg ich in das blubbernde Wasser.
»Hi«, sagte der Cowboy.
»Hi«, erwiderte ich, ohne zu wissen, wieso ich eigentlich wie ein Cowboy redete.
Er deutete auf die Narben auf meinem Bauch. »Sieht nach einem kleinen Kampf aus.«
»Nicht der Rede wert«, sagte ich,
Weitere Kostenlose Bücher