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Bis zum letzten Atemzug

Bis zum letzten Atemzug

Titel: Bis zum letzten Atemzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudenkauf
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aus, als hätte jemand am Ende des Flurs ein Fenster zerbrochen. Ich werde mal nachsehen. Ihr bleibt auf euren Plätzen, ich bin gleich wieder zurück.«
    Bevor er jedoch das Klassenzimmer verlassen kann, ertönt die zittrige Stimme von Mrs Lowell, der Schulsekretärin, durch die Lautsprecheranlage. »An alle Lehrer: Wir haben Alarmstufe Rot. Bitte begeben Sie sich alle an die sicheren Orte.«
    Noah schnaubt. »Begeben Sie sich an die sicheren Orte«, macht er Mrs Lowell nach. Niemand sonst sagt etwas. Wir alle starren Mr Ellery an und warten darauf, dass er uns sagt, was wir als Nächstes tun sollen. Ich bin noch nicht lange genug hier, um zu wissen, was Alarmstufe Rot bedeutet. Aber ich ahne, dass es nichts Gutes ist.

MRS OLIVER
    An dem Morgen, an dem der Mann mit der Pistole Evelyn Olivers Klassenzimmer betrat, trug sie zwei Sachen, von denen sie in ihrer dreiundvierzigjährigen Karriere als Lehrerin geschworen hatte, sie niemals zu tragen: Jeans und Strasssteine. Mrs Oliver war der festen Überzeugung, dass eine Lehrerin wie eine Lehrerin aussehen sollte. Gepflegt, Blusen mit Kragen, Röcke oder Hosenanzüge mit scharfer Bügelfalte, blank geputzte Schuhe. Nichts von diesem Unsinn, den die jüngeren Lehrerinnen heutzutage trugen. Miniröcke, Turnschuhe, tiefe Ausschnitte. Sogar Tätowierungen, um Himmels willen. Mr Ellery zum Beispiel, der junge Lehrer der achten Klasse, hatte eine Tätowierung auf dem rechten Arm. Eine Reihe kräftiger schwarzer Striche und Bögen, die Mrs Oliver als asiatischen Ursprungs identifiziert hatte. »Das heißt Lehrer auf Chinesisch«, hatte Mr Ellery ihr erklärt, nachdem er sie dabei ertappt hatte, wie sie eines heißen Augustnachmittags auf seinen Deltamuskel starrte, während die Lehrer ihre Klassenräume für das neue Schuljahr vorbereiteten. Mrs Oliver hatte nur verächtlich geschnaubt, aber sich heimlich gefragt, wie schmerzhaft es wohl gewesen sein musste, sich von jemandem so sorgfältig und methodisch Tinte unter die Haut ritzen zu lassen.
    Die Casual Fridays waren am schlimmsten. Freitags trugen selbst die älteren Lehrer Jeans und Sweatshirts mit Namen und Logo des Sportteams der Schule – Broken Branch Consolidated School Hornets.
    Aber an diesem ungewöhnlich bitterkalten Märztag, dem letzten Schultag vor den Frühjahrsferien, trug Mrs Oliver das Jeanskleid, in dem sie sterben würde, das wusste sie. Es war beschämend, fand sie, nach all den Jahren in rasiermesserscharfen Bügelfalten und kratzigen Stützstrumpfhosen.
    Letzte Woche, nachdem alle anderen Drittklässler gegangen waren, hatte Mrs Oliver zögernd die zerknitterte, rosagelb gestreifte Geschenktüte geöffnet, die ihr Charlotte überreicht hatte, ein dünnes, zerzaustes Mädchen von acht Jahren mit schulterlangem glänzend schwarzem Haar, in dem sich eine besonders hartnäckige Lausfamilie niedergelassen hatte.
    »Was ist das, Charlotte?«, fragte Mrs Oliver überrascht. »Mein Geburtstag ist doch erst im Sommer.«
    »Ich weiß.« Charlotte hatte sie zahnlückig angegrinst. »Aber meine Mom und ich dachten, Sie hätten mehr davon, wenn ich es Ihnen jetzt schon gebe.«
    Mrs Oliver dachte, sie würde eine Kerze mit Apfelduft finden oder ein paar selbst gebackene Kekse; vielleicht sogar ein handbemaltes Vogelhäuschen. Doch stattdessen zog sie das Kleid aus Jeansstoff heraus, auf dessen Vorderseite mit Strasssteinen ein glitzernder Regenbogen gestickt war. Charlotte hatte Mrs Oliver erwartungsvoll durch den dichten Vorhang ihres Ponys angeschaut, der ihre normalerweise keck blickenden grauen Augen verbarg.
    »Ich habe es ganz allein verziert. Na ja, fast«, erklärte Charlotte. »Meine Mom hat mir mit dem Regenbogen geholfen.« Sie legte einen schmuddeligen Finger auf den bunten Bogen. »Rot, Orange, Gelb, Violett, Hellblau, Indigo und Grün. Genau wie Sie es uns beigebracht haben.« Charlotte lächelte breit und zeigte dabei ihre kleinen, geraden Milchzähne, die alle immer noch vorhanden waren.
    Mrs Oliver brachte es nicht über sich, Charlotte zu sagen, dass sie die Plätze von Violett und Grün vertauscht hatte. Wenigstens wusste das Mädchen alle Farben, wenn auch nicht in der richtigen Reihenfolge. »Das ist ganz bezaubernd, Charlotte.« Mrs Oliver hielt sich das Kleid an. »Ich sehe, dass du dir damit sehr viel Mühe gegeben hast.«
    »Das stimmt«, erklärte Charlotte ernst. »Es hat zwei Wochen gedauert. Erst wollte ich vorne eine Geburtstagstorte draufmachen, aber dann meinte meine Mom, dass Sie es

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