Bis zum letzten Mann
klang Jasek wirklich wütend. Sie hatte den Zorn schon eine ganze Zeit lang unter seinen Worten glühen hören, aber jetzt drohte er auszubrechen. »War es nicht das, was du mich gelehrt hast? Studiere die Vergangenheit und arbeite an der Gegenwart?«
»Und die Republik wird es richten«, vervollständigte Gregory mit einem verletzten Knurren. »Ja, das habe ich gesagt. Aber sie schenkt Skye keinen Erben. Trotz deiner selbstsüchtigen Ader hätte ich erwartet, dass du dir inzwischen über die politischen Erfordernisse klar geworden bist.«
Persönliche Beleidigungen halfen in dieser Situation nicht weiter. Alexia trat zur Tür und schaute hinüber zu Niccolö, ob er mitkam. Er schüttelte nur langsam den Kopf. Offenkundig wollte er bleiben, ganz gleich, wie unangenehm das Gespräch dort unten wurde. In seinen fahlblauen Augen stand weder Tratschlust noch das verschlagene Interesse an der Möglichkeit, aus so erworbenen Informationen einen persönlichen Vorteil zu ziehen. Er war ein Schwamm, der alles zur späteren Verwendung aufsog.
Alexia sah keinen Vorteil darin. Zumindest keinen militärischen. Sie zuckte und trat zurück auf den Gang, gerade als Jasek sagte: »Ich werde dir deinen Erben mit der richtigen Frau besorgen, nicht mit irgendeiner politisch genehmen.«
Das war keineswegs das Motto, unter dem sie erwartet hatte, auf Tamara Duke zu stoßen, die unmittelbar neben der Tür an der Wand lehnte.
Tamaras Augen weiteten sich bei ihrer Entdek-kung leicht. Oder angesichts Alexias, nachdem die einzige Person, die sie von ihrer Position aus hatte sehen können, Niccolö GioAvanti war. War sie ihnen gefolgt oder hatte sie diesen Lauschposten selbst entdeckt?
Wie viel mochte sie gehört haben?
»Zu schade.« Die Stimme des Lordgouverneurs drang kaum gedämpft auf den Korridor und verlor nichts von ihrem Sarkasmus. »Das bedeutet wohl, dass ich nicht einmal darauf hoffen kann, du hättest unterwegs einen Bastard gezeugt? Ich habe gesehen, wie sie dich anschaut.«
Was sich auf ein halbes Dutzend Frauen beziehen konnte, die sich in den letzten vier Tagen gleichzeitig in der Gesellschaft von Jasek Kelswa-Steiner und dessen Vater aufgehalten hatten. Aber daran, wie Tamara die Augen anklagend zusammenkniff, war deutlich zu sehen, dass es die Kommandantin auf Alexia bezog.
Das überraschte Alexia. Schließlich trug Tamara Duke ihre Verliebtheit unübersehbar vor sich her. Obwohl sie selbst vermutlich glaubte, sich nichts anmerken zu lassen.
Auch Jasek war kaum eine Hilfe. »Ich habe keine Ahnung, von wem du redest.«
Falls er nicht einmal im Glauben, unbelauscht zu sein, vor seinem Vater etwas zugab, blieb den beiden Frauen nur übrig, zu rätseln.
Auf diesem Korridor gab es keinen Rang. Nicht einmal eine moralisch stärkere Position. Nicht, nachdem sie sich beim Belauschen eines privaten Ge-sprächs gegenseitig ertappt hatten. Alexia erwiderte den anklagenden Blick mit neutraler Miene. Als Tamara Duke mit entschiedenem Schritt auf sie zukam, spannte sie kampfbereit die Muskeln in ihren Armen und Waden.
Aber die andere Frau verzichtete auf Gewalt. Sie starrte nur durch Alexia hindurch und warnte sie mit abgehackten Worten: »Kommen Sie mir nicht in die Quere, Wolf.«
Tamara drehte auf dem Absatz um und ging davon.
Hinter ihr beharrte Jasek auf seiner Position und sein Vater setzte ihn unter Druck. Niccolö blickte kurz in den Gang hinaus, ohne eine Gefühlsregung zu verraten. Beobachtend. Registrierend.
Alexia schüttelte den Kopf. In der Öffentlichkeit, privat, plaudernd oder im Kampf um das Schicksal Skyes. Jeder hier verfolgte seine oder ihre persönlichen Ziele - und sie tat gut daran, die ihren nicht aus dem Auge zu verlieren.
Das war keine Überraschung. So war das Leben nun einmal.
Bei den Clans genau wie in der Inneren Sphäre.
Lanark, Skye
Präfektur IX, Republik der Sphäre 12. Oktober 3134
Eine eisige Brise wehte vom fernen North Inlet herein und trug einen Hauch von Salzwasser und den scharfen, beißenden Geruch von Schießpulver nach Lanark. Im Schatten eines halbfertigen Overlord zog Tara Campbell den Kragen des Wollmantels enger um ihren Hals. Zusammen mit Paladin McKinnon und Legat Eckard ging sie am zehn Stockwerke hohen Rand der Helling entlang, um das nahe Schlachtfeld und die hektische Betriebsamkeit in den Straßen um die Shipil-Landungsschiffswerft zu beobachten.
Tara hatte keine Stunde vor Ort benötigt, um zu erkennen, dass Lanarks Existenz völlig von dieser Werft abhing. Das
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