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Bis zur letzten Luge

Bis zur letzten Luge

Titel: Bis zur letzten Luge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richards Emilie
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ziehen wie die Geschichte ihres Lebens. „Nein, ich glaube, es beginnt mit meinem Großvater. Sein Name war Antoine Friloux. Er war ein Gentleman im klassischen Sinn und ein talentierter Geschäftsmann in einer Klasse, die Arbeit als etwas ansah, das besser die anderen taten. Grand-père Antoine hat Gulf Coast gegründet. Damals hieß die Firma noch Gulf Coast Dampfschifffahrtsgesellschaft. Er war ein reicher Mann, und er wurde mit jeder Investition, die er tätigte, noch reicher.“
    Als sie innehielt, stellte Phillip das Tonbandgerät an. Er wollte, dass sie weitererzählte. „Er war der Vater Ihrer Mutter?“
    „Ja. Wenn er einen Sohn gehabt hätte, wäre das, was ich Ihnen gleich erzählen werde, vermutlich niemals geschehen.“
    Phillip lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und lehnte den Notizblock gegen die Tischkante. „Und wie kommen Sie darauf?“
    Sie antwortete ihm nicht sofort. Wie sie gehofft hatte, fing die Geschichte an, sich in ihrem Innern zu formen. Zum ersten Mal war sie sich sicher, dass sie die ganze Geschichte erzählen konnte.
    „Es gibt etwas, das Sie wissen sollten“, sagte sie.
    „Und das wäre?“
    „Um meine Geschichte zu verstehen, müssen Sie auch die Geschichte eines Mannes namens Raphael gehört haben.“ Sie sah ihn abwartend an.
    „Und wer war dieser Raphael?“
    Wieder antwortete sie nicht direkt. „Unsere Lebensgeschichten sind miteinander verwoben.“
    „Also gut.“
    „Haben Sie schon viel von Louisiana gesehen, Phillip?“
    Er schüttelte den Kopf.
    „Im Süden gibt es eine vorgelagerte Insel namens Grand Isle. Ende des letzten Jahrhunderts verbrachten wohlhabende Leute dort den Sommer. Wir fuhren auch auf die Insel, als ich ein Kind war. Als ich ein kleines Kind war. Meine Mutter war … krank, und es bestand die Hoffnung, dass das dortige Klima ihren Zustand verbessern könnte.“
    „Das scheint mir ein guter Anfang zu sein.“
    Sie sah ihm in die Augen, aber sie lächelte nicht. „Das ist es. Denn alles, was ich Ihnen erzählen werde, ist mit dem Sommer des Jahres 1893 verbunden.“

4. KAPITEL
    Golfküste von Louisiana, 1893
    E in Mann nahm sich eine Frau, um Kinder zu bekommen. Ein Mann nahm sich eine Geliebte, um Spaß zu haben. In letzterem Falle hatte Lucien Le Danois viel Glück gehabt. Er hatte sich eine Geliebte ausgesucht, die so viel Vergnügen schenken konnte, dass die anspruchsvollsten kreolischen Männer vor ihr niedergekniet wären, wenn sie es gewusst hätten. Und wie das Schicksal es wollte, war Marcelite Cantrelle auch noch fruchtbarer als Luciens Ehefrau Claire.
    Ein Mann musste Marcelite nur ansehen, und in ihr wuchs neues Leben heran, wie die Ranke der WeidenSeide, die prall vom Frühlingsregen war. Ihr Körper, robust und mit ausladenden Hüften, war wie gemacht dafür, Kinder zu gebären. Ihre Brüste waren wie eine Einladung, um an ihnen zu saugen und stark zu werden. Lucien kannte die geheimnisvollen Wunder ihres Fleisches an seinen Lippen, die Verlockung ihres erdigen Dufts.
    Marcelite hatte ihm schon ein Kind geboren – eine Tochter. Innerhalb weniger Stunden hatte sie sie zur Welt gebracht und ernährte sie nun mit Muttermilch und den frischesten, süßesten Früchten, die man am Golf von Mexiko finden konnte. Angelle war eine schwarzhaarige fröhliche Fee, sonnengebräunt, genau wie ihre schwarzhaarige Mutter. Wenn Marcelite an den Strand ging, um Netze zu flicken, spielte die zweijährige Angelle in den Wellen. Munter wich sie am Strand den weißen Schaumkronen der niedrigen Wellen aus. Während es dann zu Hause überall würzig nach dem Fang des Tages duftete, den Marcelite kochte, kletterte Angelle auf die einzelne Wassereiche im Garten. Versteckt zwischen den mit Moos bedeckten Zweigen, grüßte sie die Fischer, die vorbeikamen.
    Lucien versuchte, nur an Angelle und Marcelite zu denken, als er durch die flache Passage segelte, die Grand Isle von Chénière Caminada trennte. Doch trotz seiner Bemühungen waren es andere Gesichter, die er sah.
    Die Passage trennte mehr als nur zwei Inseln voneinander. Früher am Tag hatte Lucien sich von seiner wütenden Frau verabschiedet und von Aurore, seinem einzigen rechtmäßigen Kind. Er konnte noch immer Claires Finger spüren, die sich in seinen Arm krallten, als er sie weggestoßen hatte. Und er konnte noch immer die Anklage in Aurores blassen Augen sehen.
    Warum sollte er sich schuldig fühlen? War er nicht mit dem Dampfschiff direkt nach der Sommersaison zur Grand Isle gefahren, damit

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