Bis zur letzten Luge
ihrer Lippen.
In Momenten wie diesen wünschte er sich nichts sehnlicher, als dass die Zeit stehen bleiben würde und er mit Marcelite allein wäre. Dann könnten sie sicher und zufrieden das Leben genießen, das sie sich hier zusammen geschaffen hatten.
Marcelite war eine Mischung der unterschiedlichen Nationalitäten, die seit langer Zeit diese sumpfige Halbinsel für sich beanspruchten. Eine feurige Kombination aus diesem und jenem, genau wie das Gumbo, das sie ihm oft kochte. Es waren einerseits diese Unterschiede und andererseits die Ähnlichkeiten zu allen anderen Frauen, die ihn dazu trieben, immer wieder zu ihr zurückzukehren.
„Ich habe dir ein Geschenk mitgebracht.“
Sie hob den Blick. „Tatsächlich? Du hast es gut versteckt.“ „Es ist etwas Kleines.“ Er schob seine Hand in seinen Mantel und zog ein rechteckiges Päckchen heraus. „Sieh es dir an.“
Sie ließ sich Zeit. Mit ihren von der Arbeit rauen, geschickten Händen zupfte sie an der Schnur. Sie zeigte die Geduld und die Zurückhaltung einer wohlerzogenen kreolischen Frau. Als das Geschenk ausgepackt war, betrachtete sie es, ohne es aus dem Einwickelpapier zu nehmen.
„Es ist ein zusammenfaltbarer Fächer“, erklärte Lucien. Er nahm ihn und klappte ihn auf. Auf dem wachsweichen Leder waren kunstvoll gestickte Rosen in Gold und Rot. „Der Rahmen ist aus Violettholz. Aus Frankreich.“ Er hielt ihn ihr unter die Nase, damit sie den Duft einatmen konnte. „Für den Fall, dass der Wind vergisst zu wehen.“
„Und wo, Monsieur, finde ich die Hand, die ich brauche, um so etwas benutzen zu können?“Er lachte. „Öffne den Fächer am Abend, wenn du deine Arbeit erledigt hast. Setz dich bei Anbruch der Dunkelheit auf deinen kleinen Hocker, genau hier, und denk an mich.“
„ Mais non – dann sind es die Moskitos, an die ich denke.“
Er klappte den Fächer zusammen und berührte damit ihre Wange. „Und du wirst nicht an mich denken? Nicht einmal ein bisschen?“
Sie betrachtete ihn, wie eine Frau auf dem französischen Markt den Fang des Tages betrachtete. „Warum sollte ich?“
„Marcelite …“ Er kam näher. „Hast du mich nicht vermisst?“
Ihre Miene war unergründlich.
„Gefällt dir dein Geschenk nicht?“
„Mein Dach muss repariert werden. Mein Bett ist feucht.
Mein Haus braucht Fenster, eine neue Tür. Ich habe keine Zeit, um mir Luft zuzufächeln. Ich habe keine Zeit, dich zu vermissen. Und da ich jetzt wieder ein Kind erwarte …“
Er packte ihre Arme. „Was?“
„… habe ich noch weniger Zeit als vorher.“
„Du bekommst ein Baby?“
„Wo hast du denn deine Augen?“
Langsam ließ er den Blick sinken, und er bemerkte, was er bis jetzt übersehen hatte. Trotz ihres Korsetts – das sie, wie er wusste, nur ihm zuliebe trug – war ihre Taille dicker. Ihre üppigen Brüste quollen aus dem ungewohnten Gefängnis und drängten in die Freiheit.
„Wann?“, fragte er.
„Im Frühling. Wenn die Vögel nach Norden fliegen.“ Ihm schoss durch den Kopf, was diese Nachricht bedeutete. „Wird es ein Sohn?“
Wieder zuckte sie die Achseln. Dieses Mal beobachtete er nicht ihren Hals, sondern ihre Brüste. Er wollte wissen, ob sie die Freiheit erlangten, nach der sie strebten.
„Willst du einen Sohn von mir, Lucien? Wenn ich deinenSohn gebäre, was wird das Leben für ihn bereithalten?“
Er dachte an alles, was er zu bieten hatte: an sein Haus, seinen Namen, das Geld, die gesellschaftliche Stellung, die er durch die Ehe mit Claire Friloux errungen hatte, an seinen Status als Direktor der Gulf Coast Dampfschifffahrtsgesellschaft. All das hatte er zu geben, doch nichts davon konnte er Marcelites Kind anbieten.
„Was würdest du dir denn wünschen? Was soll er von mir bekommen?“, fragte er.
„Ein besseres Haus als das hier.“ Sie deutete hinter sich auf die Hütte, in der sie so viele lustvolle Stunden verbracht hatten. „Einen Logger, damit er sich seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Später vielleicht einen Platz in deiner Firma.“
Ein Sohn. Lucien spürte, wie sich ihm das Herz vor Sehnsucht zusammenzog. Ein Sohn mit Angelles schwarzem Haar und den lachenden braunen Augen. Ein Sohn, der durch die salzige Seeluft und die harte Arbeit zu einem kräftigen jungen Mann heranwachsen würde. Ein Sohn, der niemals seinen Namen führen, aber der einen Teil seines Wesens in die nächsten Generationen tragen würde. Und wenn das Schicksal entschied und Antoine Friloux, Claires Vater, Lucien nicht
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