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Bis zur letzten Luge

Bis zur letzten Luge

Titel: Bis zur letzten Luge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richards Emilie
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dunklen gemusterten Strumpfhose, und Strasssteine funkelten in ihren Ohrläppchen.
    Phillip trug dieselben Kleider, die er schon am Morgen getragen hatte. Nachdem er das Haus von Aurore Gerritsen verlassen hatte, war er stundenlang durch die Straßen von New Orleans gestreift. Er war durch Gegenden gekommen, in denen seine Anwesenheit misstrauisch beäugt, und andere, in denen seine Hautfarbe der einzige Ausweis gewesen war, den er gebraucht hatte.
    „Du siehst nicht wie jemand aus, der heute gern ausgehen würde“, stellte Belinda fest.
    Plötzlich fiel Phillip wieder ein, dass er Belinda gefragt hatte, ob sie an diesem Abend mit ihm in den Club Valentine gehen würde. Im Augenblick verspürte er nicht das Bedürfnis, viele Menschen um sich herum zu haben oder seiner Mutter gegenüberzutreten. Er fragte sich, ob Mrs Gerritsen bewusst war, dass er sich von nun an jedes Mal, wenn er Nickysah, an das erinnern würde, was er über ihre Vergangenheit wusste. Und dass er sich jedes Mal fragen würde, was er tun sollte.
    „Du setzt dich aufs Sofa. Sofort.“ Belinda zeigte in die Ecke. „Ich bin gleich wieder da.“
    Er kam der Aufforderung nach, ließ sich auf dem Sofa in die Kissen fallen und seinen Kopf an die Rückenlehne sinken. Die in dunklem Rot gestrichenen Wände waren so tröstlich, der schwache Duft von Räucherstäbchen war ihm so vertraut wie sein eigener Herzschlag. Stundenlang war er unterwegs gewesen und durch Straßen gegangen, in denen er nie gelebt hatte, um ein bisschen Frieden zu finden.
    Dabei hatte er nur zu Belinda zurückkehren müssen.
    „Hier.“
    Er schlug die Augen auf. Belinda hielt einen Drink in der Hand. Dankbar nahm er das Glas entgegen und trank es zur Hälfte aus, noch bevor ihm überhaupt der Geschmack des guten Bourbons auffiel.
    „Hast du seit dem Frühstück etwas gegessen?“
    „Du kümmerst dich ständig um deine Mitmenschen. Du musst dich nicht auch noch um mich kümmern.“
    „Das ist zu einer Angewohnheit geworden.“ Sie ging wieder. Als sie zurückkam, brachte sie kalte gekochte Shrimps und eine aufgeschnittene frische Orange mit.
    Sie stellte den Teller auf den Tisch neben ihm und setzte sich zu ihm auf die Couch. „Möchtest du, dass ich mich umziehe und uns hier etwas zu essen mache?“
    „Nein. In ein paar Minuten geht es mir sicherlich wieder besser.“
    „War es ein harter Tag?“
    Er hatte unzählige harte Tage erlebt. Er war in Philadelphia, Mississippi, gewesen, als die Leichen von drei hingerichteten Bürgerrechtlern gefunden worden waren. Und er war auf dem Arlington National Cemetery gewesen, als John F.
    Kennedy dort beerdigt worden war. In Virginia hatte man sich am Abend der Rede von Martin Luther King am Lincoln Memorial in einem Restaurant geweigert, ihn zu bedienen. In Birmingham war er verhaftet und kurz festgehalten worden. Niemals, zu keinem Zeitpunkt, hatte er damit gerechnet, dass irgendjemand sich um ihn kümmern würde, damit es ihm besser ging.
    Manchmal bekam ein Mann mehr, als er sich erhofft hätte. Er stellte sein Glas ab und zog sie an sich. Ihr Parfum hatte dieselbe würzige Note wie die Räucherstäbchen, die sie oft anzündete. Der Duft erinnerte ihn an asiatische und afrikanische Märkte und exotische verschleierte Frauen.
    „Diese Stadt braucht eine Revolution“, sagte er.
    „Kennst du eine Stadt, auf die das nicht zutrifft?“
    „Du hast dein ganzes Leben hier verbracht. Siehst du die Dinge wirklich so, wie sie sind? Ich bin heute Straßen entlanggegangen, an denen die Wachhunde darauf trainiert sind, Schwarze anzugreifen. Das hat mir ein alter Mann erzählt. Es sollte eine Warnung sein.“
    „Ich hatte mal eine Nachbarin, die ihren Dobermann darauf abgerichtet hat, Weiße anzubellen – nur aus Gehässigkeit. Die Kinder in der Straße konnten ihn streicheln, dann hat er mit seinem Stummelschwanz gewedelt und gesabbert. Sobald allerdings ein Weißer vorbeikam, hat er nach ihm geschnappt und sich fast so gebärdet, als würde er zum Abendessen auf ein Steak von einem Weißen hoffen.“ Sie küsste ihn aufs Haar. „Willst du mir erzählen, was dich dazu gebracht hat, Straßenkämpfe zu planen?“
    „Ich fühle mich so … schlaff.“
    Sie zwinkerte ihm schelmisch zu. „Dazu hätte ich das eine oder andere Wörtchen zu sagen …“
    Er lächelte, obwohl sein Herz schwer war. „Warum bist du hiergeblieben, Belinda? Warum bist du nicht weg- und weitergezogen? Du bist sehr gebildet. Du hättest in den Nordenoder den Westen

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