Bis zur letzten Luge
Bühne betrat, erreichte dieFeier ihren Höhepunkt.
Nicky, die ein smaragdgrünes Satinkleid trug, nahm das Mikrofon aus der Halterung. „Jetzt, ihr Lieben, solltet ihr euch alle ein bisschen beruhigen, damit ihr hören könnt, was ich euch zu sagen habe.“
Der Saal tobte. Das war immer so. Phillip hatte seine Mutter schon im Licht einer nackten Glühbirne singen sehen und im schimmernden Schein von einem Dutzend Kristallleuchtern – und sobald das Publikum Nickys unglaubliches Talent erkannte, brandete tosender Beifall auf. Genau wie jetzt.
Diese Leute wussten genau, was sie von ihr bekommen würden. Nicky gehörte ihnen. Sie war eine von ihnen, ein Kind aus Storyville, ein Kind ihrer geliebten Stadt. Es war das New Orleans in ihrer Stimme, das sie berühmt gemacht hatte, und das New Orleans in ihrer Stimme, für das sie sie so liebten.
Da ihr offensichtlich klar war, dass es nicht ruhiger werden würde, bis sie zu singen anfing, setzte sie zu einem Lied an. Es war ihre Interpretation von Heatwave .
An diesem Abend war die Stimmung, war die Aufregung besonders intensiv. Es war wie ein elektrischer Impuls, der die Menge erfasste und durchzuckte. In der Vergangenheit hatte Phillip die Karnevalssaison in New Orleans immer gemieden, aber jetzt spürte er die Wirkung. Karneval war ein ursprüngliches, emotionales Fest, und genau dieser Geist erfüllte an diesem Abend den Club. Jeder suchte nach etwas – nach einem kurzen Glücksgefühl, nach einer Verbindung, nach etwas, das ihn nährte. Die Fastenzeit bedeutete, verzichten zu lernen, doch Karneval hieß, zu bitten und zu empfangen. Und an diesem Abend baten die Gäste im Club Valentine Nicky, mit ihrem Talent und ihrer Präsenz die Lücken in ihrem Leben zu füllen.
„Sie ist die Beste!“, sagte Viv in den Beifall hinein. „Und das Beste, was dieser Stadt je passiert ist. Warum ist sie wiederhierhergekommen, Phillip, wenn sie doch überall auf der Welt hätte leben können?“
Er dachte über all das nach, was er erfahren hatte. „Ich weiß es nicht. Vielleicht lag es ihr so im Blut.“
„Sie ist zurückgekommen, weil sie wusste, dass wir sie lieben würden wie niemand sonst auf der Welt.“ Belinda sah Phillip tief in die Augen. Sie lächelte nicht. „Sie hat sich eines Tages umgesehen und gewusst, dass es an der Zeit war, nach Hause zu gehen. Und das hat sie getan.“
Er dachte während Nickys restlichem Auftritt über Belindas Worte nach. Belindas eigenes Leben war eine einzige Fastenzeit gewesen – vierzig Tage der Entbehrungen, dann vierzig weitere Tage, bis sie irgendwann gelernt hatte, nichts anderes mehr zu erwarten. Ihr waren die meisten Dinge versagt worden, die ein Mensch brauchte, um stark und emotional gefestigt zu werden, und doch hatte sie es geschafft. Mit wenig Hilfe und noch weniger Bestätigung.
Aber was war jetzt? Belinda erwartete nichts von ihm. Das war immer klar gewesen. Doch wollte sie ihm nun, im Geiste des Karnevals, die Hand reichen? Wollte sie ihm sagen, dass es an der Zeit für ihn war, nach Hause zu kommen? Und wollte sie ihm sagen, dass dieses Zuhause hier bei ihr war?
Der Raum schien mit einem Mal kleiner und immer voller zu werden. Die Stimme seiner Mutter schwebte über dem Flüstern, dem Klappern des Bestecks. Der Rhythmus wurde stetig schneller; die Musik wurde lauter und lauter. Sein Kopf begann zu schmerzen, und er schloss für einen Moment gegen den Qualm von Dutzenden von Zigaretten die Augen.
Er bekam nicht mit, wie der Mann auf die Bühne sprang. Belinda legte ihre Hand auf seinen Arm. „Phillip …“
Er schlug die Augen auf und sah einen dicken Mann mittleren Alters, der offensichtlich zu viel getrunken hatte und nun nur wenige Meter von seiner Mutter entfernt schwankend auf der Bühne stand. Kein Bandmitglied hatte bis jetztreagiert. Es war alles zu schnell gegangen. Phillip rutschte auf seinem Stuhl nach vorn und war bereit, aufzuspringen, falls es nötig werden sollte.
„Sie hat alles unter Kontrolle“, sagte Belinda und hielt ihn zurück.
Nicky hatte die Hände in die Hüften gestemmt, blickte den Mann an und schüttelte wie eine nachsichtige Lehrerin den Kopf über ihn. Sie hatte aufgehört zu singen, aber Phillip und Belinda waren nahe genug an der Bühne, um zu hören, wie sie ihm empfahl, zu gehen und sich nicht länger zum Idioten zu machen. Es war derselbe Tonfall, den sie auch bei den seltenen Gelegenheiten angeschlagen hatte, wenn Phillip als Kind Schwierigkeiten bekommen hatte.
Der
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