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Bis zur letzten Luge

Bis zur letzten Luge

Titel: Bis zur letzten Luge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richards Emilie
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furchtbar eng miteinander verwoben. Trotz seines Schwurs zog er sie in seine Arme. Später würden sie dafür zahlen müssen – und für alles andere.
    Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und erwiderte seinen Kuss mit derselben Verzweiflung, die auch er in sich spürte. Von der Straße und aus dem Laden, den sie auf demWeg zu der Wohnung durchquert hatte, waren Geräusche zu hören. Er drückte sie fester an sich, als könnte er sie dadurch in seine Seele aufnehmen und für immer bei sich tragen.
    Irgendwann löste er sich von ihr. In dem fahlen Licht musterte er sie und entdeckte das, was ihm vorher entgangen war. „Gerritsen hat dich geschlagen.“
    Sie weinte. „Nein. Ich bin gestürzt.“
    „Was weiß er über uns?“
    „Gar nichts. Mir geht es gut. Bitte mach dir keine Sorgen.“ Er hob ihr Kinn und blickte sie an. Sie schlug die Augen nieder. „So weit ist es also gekommen. Ich kann dich nicht beschützen. Allein meine Existenz ist eine Bedrohung für dich.“
    „Er weiß nur, dass wir uns auf der Insel begegnet sind, Rafe. Ich habe ihm gesagt, dass ihr die Stadt verlasst. Ich habe ihm gesagt, dass wir uns nie mehr wiedersehen. Ich denke, er hat es mir geglaubt.“
    „Weiß er von …“
    „Nein. Ich bin mir sicher, er vermutet nicht einmal, dass wir zusammen gewesen sind.“
    „Er hat einen Verdacht.“
    „Das spielt keine Rolle. Du gehst. Damit sind wir beide in Sicherheit.“
    Wut stieg in ihm auf. Er hatte sich nie zuvor so machtlos gefühlt wie in diesem Moment. Jetzt hatte er eine genaue Vorstellung davon, wie er durch das Blut seines Vaters gebrandmarkt war. Männer wie sein Vater waren aus weitaus geringeren Gründen gestorben als dafür, ihre Frauen zu lieben und sie zu beschützen.
    „Ich bin bei dir, wohin du auch gehst“, flüsterte sie und berührte seine Wange. Sie weinte noch immer. „Ich liebe dich. Ich werde nie einen anderen lieben.“
    Er brachte keinen Ton heraus. Er wandte sich ab; dann drehte er sich wieder um. Er zog einen Umschlag aus seiner Manteltasche. Wortlos nahm sie ihn entgegen. Darin befandsich sein Lieblingsfoto von Nicolette. Das Bild fing das gesamte Wesen ihrer gemeinsamen Tochter ein.
    Sie drückte das Foto an ihre Brust. Als er sie ansah, erkannte er die ganze Frau – ihre Intoleranz, ihre Feigheit, aber auch all die Dinge, die er so sehr an ihr geliebt hatte. Genau so würde er sich stets an sie erinnern. Er würde sie niemals vergessen.
    Als er den obersten Treppenabsatz erreichte, blickte er nicht mehr zurück. Stattdessen ging er in das Apartment, um seine Tochter nach Hause zu bringen.

30. KAPITEL
    H enry arbeitete in jener Nacht sehr lange. Genau wie an jedem Abend seit dem Waffenstillstand. Sein Leben war damals eine gefährliche Gratwanderung zwischen der Lokalpolitik und den geschäftlichen Interessen von Gulf Coast. Sein Ziel, ein Teil der politischen Maschinerie zu werden, nahm viel von seiner eigentlichen Arbeitszeit in Anspruch. Deshalb musste er diesen Verlust irgendwie ausgleichen.
    Phillip half Aurore ein paar Stufen hinauf und geleitete sie durch die Tür ins Morgenzimmer. Er hatte geschwiegen, während sie erzählt hatte. Bei ihrer ersten Begegnung hatte er sich verboten, irgendwelche Empfindungen für diese Frau und ihre Anstrengungen zu entwickeln. Nachdem er dann herausgefunden hatte, wer sie wirklich war, hatte er kalte Wut in sich verspürt. Doch nun empfand er Mitgefühl mit ihr – trotz all seiner Schwüre. Fünfzig Jahre waren vergangen, und trotzdem litt sie noch immer unter den Entscheidungen, die sie getroffen hatte. Ihr Schmerz schwang deutlich in ihrer Stimme mit.
    „Wir waren uns damals noch nicht sicher, wie sich das Ende des Krieges auf Gulf Coast auswirken würde“, fuhr sie fort. „Das Frachtschiff zu kaufen hatte sich als großer Erfolg für uns herausgestellt. Also kauften wir ein zweites. Ich war davon überzeugt, dass absolut alles einen Markt finden würde, das sich nur irgendwie importieren ließ. Der Krieg hatte viele Entbehrungen gefordert. Nun war die Welt durch Demokratie gesichert. Ich glaubte, dass es jedem wieder darum gehen würde, seinen Lebensstandard zu steigern. Dass die Preise in die Höhe schießen und Gulf Coast profitieren würde. Henry war nicht so überzeugt davon wie ich, aber ich hatte einen guten Riecher für Trends bewiesen. Obwohl ich nicht mehr so oft wie früher ins Büro kam, behielt ich dieDinge im Auge. Er konnte kaum etwas tun, ohne dass ich es mitbekam. Und trotz meiner Erfolge

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