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Bis zur letzten Luge

Bis zur letzten Luge

Titel: Bis zur letzten Luge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richards Emilie
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bemerkte, dass dem Kind ihre Traurigkeit nicht entgangen war. „Sing, was du möchtest. Was immer dir richtig erscheint“, bat sie Nicolette leise und berührte ihre Hand.
    „Ich wünschte, Clarence wäre jetzt hier. Wenn er für mich spielt, brauche ich mir über den Text keine Gedanken zu machen.“ Nicolette schloss die Augen und fing mit einem von Aurores Lieblingsliedern an, dem Saint Louis Blues . Während sie allmählich immer sicherer wurde, sang sie mit lauterer Stimme.
    Als Nicolette die Augen schließlich wieder aufschlug, rannen Tränen über Aurores Wangen. Inzwischen war auch Rafe zurückgekehrt.
    „Oh Nicolette.“ Aurore wischte sich über das Gesicht. „Ich schätze, dann habe ich den Blues richtig gesungen.“ Aurore breitete die Arme aus. Zögerlich kam Nicolette näher und ließ sich umarmen. Aurore nahm den Duft von Talkumpuder wahr. Am liebsten wollte sie Nicolette für immer so halten, wollte ihr Geborgenheit geben und sie beschützen. Sie hätte hundert Schlachten geschlagen, um bei Nicolette bleiben zu können. Nicolette schlang die Arme um ihren Nacken und erwiderte die Umarmung.
    Schließlich ergriff Rafe das Wort und sagte: „Mrs Friloux muss jetzt gehen, Nicolette.“
    Aurore wollte protestieren, doch sie spürte, wie sich Nicolette bereits aus ihren Armen löste.
    „Danke, dass Sie mich besucht haben“, erklärte Nicolette.
    „Ich freue mich, dass Ihnen mein Lied gefallen hat.“
    Aurore legte die Hände auf Nicolettes Schultern und hielt sie, um sie noch einmal anzusehen. „Ich habe dir ein Geschenk mitgebracht. Aber dein Vater muss damit einverstanden sein, dass ich es dir gebe.“
    „Natürlich“, entgegnete Rafe.
    Traurigkeit legte sich wie ein Schleier über den Raum. Die Trauer schien alle einzuschließen und sie zugleich voneinander zu trennen. Rafes Miene war sichtlich angespannt, und Nicolette sah aus, als würde sie nach Hause rennen wollen.
    Aurore zog eine kleine Schachtel aus einer weichen Ledertasche, die genauso blassgrau war wie ihr Kleid. „Möchtest du es sofort aufmachen?“
    Nicolette nickte. Vielleicht war sie einfach froh darüber, etwas zu tun zu haben. In der Schachtel befand sich das goldene Medaillon. Nicolette hielt es hoch und ließ es an der Kette hin und her schwingen. „Du hast es mir weggenommen“, sagte sie und drehte sich zu ihrem Vater um. „Daran erinnere ich mich.“
    „Das war falsch von mir.“
    „Also darf ich es jetzt behalten?“
    „Ja.“
    „Öffne es“, forderte Aurore sie auf.
    Das Medaillon zu öffnen bereitete Nicolette keine Schwierigkeiten. Sie drückte auf den Verschluss und beobachtete aufmerksam, wie die beiden Hälften aufschwangen. Im Innern verbarg sich ein Foto von Aurore.
    „Damit du mich nicht vergisst“, erklärte Aurore.
    „Vielen Dank.“ Anscheinend musste Nicolette darüber nachdenken, was sie als Nächstes sagen sollte. „Ich werde es immer bei mir tragen“, fügte sie mit einem Lächeln hinzu. Offenbar war sie froh darüber, dass ihre guten Manieren sie zumindest dieses eine Mal nicht im Stich ließen. Sie legte sich das Schmuckstück um. Der Anhänger reichte ihr bis zur Brust.
    „Ich bringe Sie nach unten“, wandte Rafe sich an Aurore. „Nicolette, du wartest hier.“
    „Muss ich wirklich?“ Nicolette blickte ihn bittend an und änderte schnell ihre Meinung, als sie seine Miene sah. „Okay.“
    Aurore gab ihr einen Kuss auf die Wange. Nicolette zögerte; dann erwiderte sie den Kuss. Aurore erhob sich und berührte Nicolette ein letztes Mal. Ganz kurz tätschelte sie ihre Schulter. Und ohne sich noch einmal umzusehen, durchquerte sie den Raum und verließ mit Rafe zusammen das Zimmer.
    Am Fuß der Treppe blieb Aurore stehen. „Wann reist ihr ab?“
    Rafe betrachtete sie. Sie hatte ihn bei ihrer Frage nicht angesehen, und sie hatte über den Besuch bei ihrer gemeinsamen Tochter kein Wort verloren. Rafe wollte mehr – und wusste genau, dass er schon zu viel erhalten hatte. „Morgen oder übermorgen.“
    „Es war leichter für mich, als ich nicht wusste, wie perfekt sie ist.“ Sie brach ab. „Es war leichter für mich, als ich dich hasste.“
    „Keiner von uns ist dazu geboren worden, es leicht zu haben.“
    „Du könntest mir über meinen Anwalt schreiben, Spencer St. Amant.“
    „Das werde ich nicht tun.“
    Sie seufzte tief und gequält auf. Er spürte, wie sehr sie litt.
    „Rafe.“
    Er hatte sich geschworen, sie nicht wieder zu berühren. Ihre Lebenswege waren bereits jetzt so

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