Bis zur letzten Luge
ursprünglich, das Pochen von Hunderten von Herzen, der Klang unzähliger Stimmen. Er tauchte darin ein, und sosehr er sich bemühte, er konnte sich nicht daraus befreien und wieder nach Belinda suchen. Er spürte die Hitze, die Körper der anderen. Deutlich nahm er den Geruch von Schweiß, Bier und holzig duftendem Parfum wahr. Er wurde weitergetragen. Einmal stolperte er dabei, konnte sich aber wieder fangen, weil es einfach keinen Platz zum Hinfallen gab.
Die Menge sang Wörter, die er nicht verstehen konnte. Der Klang vibrierte in seiner Brust, bis er schließlich mitsingen wollte. Er wollte den seltsamen Kloß in seinem Hals loswerden, wollte seinen Schmerz heraussingen. Aber er konnte den Stimmen um sich herum nicht folgen. Trotz allem war er unter diesen Menschen ein Fremder. Der Schmerz, den er verspürte, gehörte nur ihm allein. Die Worte, die festlichen Rituale – all das gehörte dagegen ihnen.
Langsam verteilten sich die Leute, als sie sich den Indianernnäherten. Die Menschen zogen sich respektvoll an die Seiten zurück. In dem Moment wurde er unsanft gegen eine Frau mit einem kleinen Mädchen auf dem Arm gedrängt. Schnell packte er die beiden, damit sie nicht stürzten. Erst in dem Moment erkannte er, dass es Debby war.
„Hey, alles in Ordnung?“
Sie lachte. „Klar.“
„Geben Sie sie mir! Bei mir ist sie sicherer.“ Er streckte die Hände aus, und das Mädchen ließ sich bereitwillig von ihm auf den Arm nehmen. Die Kleine war winzig, hübsch, hatte einen dunklen Lockenkopf und hellbraune Haut. Sie trug eine Stoffpuppe bei sich. „Ist das Vicki?“
Debby antwortete darauf, doch er konnte sie nicht verstehen. Der Gesang war einfach zu laut. Also nickte sie.
Gemeinsam bewegten sie sich auf den Rand der Menge zu. Die Indianer waren diesmal in Orange und Blau gekleidet und standen in der Mitte. Zwischen den Menschen hindurch konnte Phillip nur ab und zu einen flüchtigen Blick auf sie erhaschen. Während er sich mit Debby zusammen vom Zentrum des Geschehens entfernte, wurde auch der Lärm leiser.
Phillip neigte den Kopf. Er glaubte, etwas zu dem Kind sagen zu müssen. „Ich finde deine Puppe toll.“
Sie hielt sie in die Höhe, damit er sie besser erkennen konnte. Die Puppe war handgefertigt. Dunkelhäutig wie das Kind, das sie hielt. Offenbar hatte jemand Vicki ein Spielzeug schenken wollen, das ihr ähnlich sah, und hatte die Puppe selbst gemacht, denn zu kaufen gab es lediglich weiße Babypuppen.
Schließlich waren sie weit genug weg, und Phillip war sich sicher, dass Vicki ihn hören konnte. „Wie heißt sie denn?“
„Belinda.“
„Hast du sie von Belinda bekommen?“ Das hätte zu Belinda gepasst: dem Kind eine Puppe zu schenken, in der es sich selbst wiederfand.
Sie nickte, sodass ihr die Locken ins Gesicht fielen.
Er lächelte. „Sie ist wunderschön. Und das bist du auch.“ „Ich muss ja lernen, wie man ein Baby hält.“
„Ach ja?“
„Belinda kriegt ja eins.“
Zunächst verstand Phillip nicht. „Was meinst du damit?“ „Belinda hat ein Baby im Bauch, deshalb muss ich lernen, wie man ein Baby hält. Damit ich ihr helfen kann, wenn sie ihr’s kriegt.“
Debby schlängelte sich zu ihnen durch und breitete die Arme aus, um ihre Tochter entgegenzunehmen. Phillip hielt Vicki jedoch fest an sich gedrückt. Er konnte sie jetzt nicht loslassen. Er hatte keine Ahnung, was Debby in seinem Gesicht sah, aber schließlich ließ sie die Hände sinken. Sie schob ihre Maske hoch und wartete ab, dass er etwas sagte.
„Warum ist Belinda zu Ihnen gezogen?“
„Das muss sie Ihnen schon selbst erklären.“
„Vicki hat mir erzählt, dass sie schwanger ist.“
Erneut streckte Debby die Arme aus, und dieses Mal gab er ihr die Kleine. Als Debby an ihm vorbeigehen wollte, legte er eine Hand auf ihre Schulter und hielt sie zurück. „Bitte, Debby.“
Sie hob das Kinn. „Es gibt niemanden, der so vorsichtig ist wie Belinda.“
Er wusste nur zu gut, wie wahr diese Worte waren. Sie hatten sich nie geliebt, ohne zu verhüten. „Ich weiß, dass Unfälle passieren können.“
Sie wirkte erleichtert – so als hätte sie befürchtet, er könnte denken, dass Belinda mit Absicht schwanger geworden wäre. „Wenn Sie darüber reden wollen, reden Sie am besten mit ihr.“
Doch Belinda und er hatten bereits darüber gesprochen. Das war Phillip zu dem Zeitpunkt allerdings nicht klar gewesen. Sie hatten sich ganz locker über Kinder unterhalten, überein gemeinsames Heim, über
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