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Bis zur letzten Luge

Bis zur letzten Luge

Titel: Bis zur letzten Luge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richards Emilie
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den Bootsrumpf zuschlängelten.
    „Raphael!“ Lucien eilte zu ihm und sah, wie angespannt die dünnen Arme des Jungen vor Anstrengung und vom Gewicht des Bootes waren. Zuneigung durchflutete ihn. „Mach dir keine Sorgen, mon fils , ich fahre jetzt sowieso mit dem Boot zurück.“
    Raphael richtete sich auf und drehte sich um. Ein Lächeln erstrahlte weiß gegen seine dunkle Haut. „Ich hatte Angst, dass es weggespült werden könnte.“
    „Das hätte ich nicht zugelassen!“ Lucien zauste Raphaels schwarze Locken. Er hatte Raphael immer für einen hübschenJungen gehalten, obwohl er mit seinem dunklen Haar und dem dunklen Teint aussah wie fast alle auf Chénière Caminada. Marcelites Familie stammte aus Italien, Portugal und Frankreich, das hatte sie ihm erzählt. Über Raphaels Vater hatte sie wenig gesagt – nur dass er sie vor der Geburt des Jungen verlassen habe und nie mehr zurückgekehrt sei. Lucien wollte nicht mehr wissen. Er tolerierte Marcelites Vergangenheit und empfand sogar Zuneigung für ihren Sohn. Er konnte über vieles hinwegsehen, wenn er bedachte, was sie ihm gab.
    „Fahren Sie schon?“, fragte Raphael. Er leckte über seinen Finger und hob ihn hoch. „Der Wind wird Sie schnell mit sich nehmen.“
    „Du hast recht.“ Lucien wuschelte wieder durch die Locken des Jungen, bevor er die Hand sinken ließ. „Vielleicht schneller, als mir lieb ist.“
    „Juan Rodriguez hat gesagt, dass ein Sturm aufkommt.“ Raphael streckte die Arme aus. „Ein großer Sturm – so groß. Wir werden alle weggeweht.“
    Der Regen war stärker geworden. Lucien musste sich bücken, um dem Jungen ins Gesicht sehen zu können. Er sah Aufregung, jedoch keine Spur von Furcht. Er unterdrückte ein Lächeln. „Du musst nicht alles glauben, was der alte Mann dir erzählt, mon fils . Es ist schon zu spät im Jahr für einen großen Sturm. Mach deiner Mutter mit deinen Geschichten keine Angst. Versprochen?“
    Raphael runzelte die Stirn. „Juan sagt, dass wir zu Picciolas Laden gehen sollen, wenn der große Sturm kommt.“
    „Es wird keinen großen Sturm geben. Ich will nicht, dass du deine Mutter unnötig aufregst.“
    Raphael nickte, doch sein Blick war trotzig.
    „Gut.“ Lucien zog Schuhe und Socken aus und warf sie mit seinem Hut zusammen ins Boot. Dann krempelte er die Hosenbeine auf. „Ich werde eine Zeit lang nicht kommen. Dumusst dich gut um deine Mutter kümmern, solange ich weg bin.“
    Wieder nickte Raphael.
    „Komm, und hilf mir, das Boot ins Wasser zu bringen.“
    Lucien schlang das Seil über die Schulter. Dann ging er ins Wasser und zog das Boot hinter sich her. Er spürte den Stoß, als Raphael sich mit seinem Gewicht dagegenstemmte. Lucien kletterte ins Boot und ließ sich von der Strömung raustragen, ehe er das Segel setzte. Er warf einen Blick zurück und sah, wie Raphael ihn beobachtete. Während der Junge kleiner und kleiner wurde, winkte Lucien ihm ein letztes Mal zu.
    Als das Boot sich kurz darauf dem gegenüberliegenden Ufer näherte, bemerkte Lucien, dass eine hochgewachsene Person ihn zu erwarten schien. Zuerst dachte Lucien, es würde sich um Mr Krantz handeln, der sichergehen wollte, dass sein Gast wohlbehalten an Land zurückkehrte. Oder vielleicht um einen seiner Bediensteten. Die Person am Strand kam ihm immer vertrauter vor, bis er schließlich erkannte, dass der Mann, der so ungeduldig im Regen auf ihn wartete, sein Schwiegervater Antoine Friloux war.
    Eine böse Vorahnung ergriff ihn. Sie hatten Antoine nicht auf der Insel erwartet; tatsächlich hatte Lucien ihn erst am vergangenen Abend noch in New Orleans getroffen. Antoine musste auf einem Dampfschiff angereist sein, das er selbst gemietet hatte.
    Aber aus welchem Grund? Antoine war kein Mensch, dem Unannehmlichkeiten nichts ausmachten. Trotzdem stand er im immer stärker werdenden Regen. Er machte keine Anstalten, Lucien zu helfen, als der durchs Wasser watete und das Boot an Land zog; er stand einfach nur mit ernster Miene und vor der Brust verschränkten Armen dort.
    „Antoine?“ Lucien legte die Hand über den Augen an die Stirn, um sich vor dem Regen zu schützen.
    „Überrascht, Lucien?“
    Lucien kam näher. „Sollte ich nicht überrascht sein?“ Er betrachtete seinen Schwiegervater und versuchte, einen Hinweis auf den Grund für dessen Verhalten zu finden. Antoine Friloux war ein großer, dünner Mann, der einen ähnlich blassen Hautton wie seine Tochter und Enkeltochter hatte. Sein dunkles Haar und sein

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