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Bis zur letzten Luge

Bis zur letzten Luge

Titel: Bis zur letzten Luge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richards Emilie
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Schnurrbart waren immer perfekt gestutzt, und sein Kragen war immer gestärkt. Selbst jetzt, als der Regen über seinen Mantel und Hut strömte, wirkte er vornehm.
    „Für mich gab es in den letzten Tagen auch einige Überraschungen“, sagte Antoine.
    „Ist Claire …“
    Antoine winkte ab. „Claire geht es gut. So gut es einer Frau eben gehen kann, die von ihrem Mann zum Narren gehalten wird.“ Lucien fiel darauf keine Antwort ein. Er war nicht perfekt, doch welcher Mann war das schon? Er arbeitete hart, um Claire all das bieten zu können, was eine Frau sich nur wünschen konnte. Er kam seinen sozialen Verpflichtungen nach, die von einem Mann seines Standes erwartet wurden; in der Öffentlichkeit und zu Hause bewies er die guten Manieren und die Erziehung und Bildung seiner Klasse. Auf welche Art und Weise sollte er seiner Frau geschadet haben?
    „Weißt du, was ich damit meine, Lucien?“, fragte Antoine. Lucien blickte zum Himmel hinauf. Es wurde schnell dunkler. „Sollen wir das vielleicht drinnen besprechen?“
    „Ich habe mir für heute Nacht das Cottage neben dem Speisesaal gemietet. Dort können wir reden.“
    Lucien nickte. Er hütete sich davor, Verärgerung oder Furcht zu zeigen. Antoine mochte fünfzig sein und auf jemanden, der ihn nicht kannte, zerbrechlich wirken, aber sein äußeres Erscheinungsbild war trügerisch. Er hielt die Zügel in der Familie und in seiner Firma fest in den schlanken Händen. Der Kurs von beidem konnte leicht durch eine seinerLaunen verändert werden.
    Donner dröhnte in der Ferne, als sie den Weg am Speisesaal vorbei nahmen und zu Antoines Häuschen gingen. Mr Krantz stand im Eingang zum Speisesaal und nickte, als sie vorbeikamen. Lucien fror und war nass genug, um sich nach einem Kaffee oder Krantz’ exzellentem Brandy zu sehnen, doch er wusste, dass es keine gute Idee gewesen wäre, jetzt stehen zu bleiben.
    Das Häuschen, das früher einmal eine Sklavenhütte gewesen war, war schlicht ausgestattet. Im Sommer, wenn die Glyzinienranken an der Verandabrüstung blühten und die Blumen in den zahllosen Beeten die Luft mit ihrem Duft erfüllten, war es, genau wie die anderen Häuser, besonders reizvoll. Jetzt, da das Hotel beinahe verlassen war und Regen auf das Schindeldach trommelte, wirkte es so trostlos wie die heiß begehrte Schönheit, wenn der letzte Walzer des Balles verklungen war.
    Beide Männer zogen ihre Mäntel und Schuhe vor der Tür aus. Jemand hatte ein Feuer im Kamin entzündet, und Lucien stellte sich davor. Antoine ging zum Tisch, wo eine Karaffe stand, und schenkte sich einen Drink ein. Lucien bot er kein Getränk an.
    „Ein ziemlich schlechter Zeitpunkt für einen Segeltörn, würdest du nicht sagen?“, begann Antoine, als er das Glas zur Hälfte geleert hatte.
    „Als ich aufbrach, war das Wetter noch nicht so schlecht. Ich habe die Zeit vergessen. Als ich bemerkte, dass das Wetter sich verschlechtert, war es zu spät, um noch irgendetwas zu tun. Da galt: Augen zu und durch.“
    „Hast du nicht darüber nachgedacht, auf der Chénière haltzumachen und Schutz zu suchen? Man hat mir erzählt, dass die Menschen dort sehr gastfreundlich sind.“
    „Daran habe ich nicht gedacht. Ich wusste, dass Claire sich Sorgen gemacht hätte, wenn ich heute Nacht nicht nachHause gekommen wäre.“
    „Was für ein pflichtbewusster Ehemann!“ Antoine prostete ihm mit dem Rest seines Drinks zu.
    „Was soll das hier, Antoine? Ich bin auf Claires Wunsch hin zur Grand Isle gereist. Und ich verstehe nicht, was falsch daran gewesen ist, segeln zu gehen – als kleiner Ausgleich sozusagen.“
    „Als kleiner Ausgleich?“ Antoine lachte. „Oh, ich denke, es war mehr als nur ein kleiner Ausgleich, oder? Nach allem, was ich gehört habe, ist dein Ausgleich, wenn du zur Grand Isle segelst, mehr als üppig.“
    Lucien gefiel die Richtung, in die diese Unterhaltung ging, überhaupt nicht. Es gab gewisse Dinge, die alle Männer taten, allerdings selten zum Thema machten. Dass Antoine so gefährlich nahe dran war, die Geliebte seines Schwiegersohnes zu erwähnen, war undenkbar. Es war die Verletzung eines Kodex unter Ehrenmännern. Lucien wusste nicht, wie Antoine von Marcelite erfahren hatte. Doch er konnte sich auch nicht vorstellen, wieso Antoine ihm Vorwürfe machen sollte, weil er seinen Spaß hatte, wenn sich die Gelegenheit bot. Nicht solange er Claire gut behandelte.
    „Das Leben setzt sich aus Pflichten und gelegentlichen Belohnungen zusammen“, sagte Lucien,

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