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Bis zur letzten Luge

Bis zur letzten Luge

Titel: Bis zur letzten Luge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richards Emilie
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einer der Männer, die vom Absatz der Treppe aus die Lage im Erdgeschoss beobachtet hatten.
    Marcelite faltete die Hände und fing an zu beten. Wieder bewegte sie stumm die Lippen. Lucien saß ganz ruhig da und lauschte konzentriert auf den Wind. Bildete er sich das nur ein, oder hatte der Sturm tatsächlich an Stärke verloren? DasHaus wurde noch immer von Wind und Wellen erschüttert, doch war es inzwischen nicht ein bisschen weniger heftig? Er setzte Angelle auf den Schoß ihrer Mutter und stand auf. Die Männer waren vorsichtig, aber einige waren zuversichtlich. Falls das Wasser nicht höher stieg, falls der Wind aufhörte und dem Haus eine Chance gab, sich zu beruhigen, hatten sie möglicherweise das Schlimmste überstanden. Lucien fing Dupres’ Blick auf. Er schüttelte den Kopf. Offensichtlich war er nicht der Meinung, dass sie in diesem Haus sicher waren. „Es gibt immer eine Flaute“, erklärte er. „Und wenn der Wind dann wieder auffrischt, wird er noch stärker.“
    Lucien schwieg und versuchte, der Diskussion zu folgen. Seine Panik nahm langsam ab. Hatte er nicht Marcelite und die Kinder hierhergebracht? Hatte er nicht das Boot gerettet? Er war am Leben, weil er seinen Verstand benutzt hatte, und er konnte ihn weiterhin nutzen, um zu überleben. Er versuchte sich all das ins Gedächtnis zu rufen, was er über Stürme wusste. Für gewöhnlich gab es eine Flaute; dann änderte der Wind die Richtung. Die Flaute konnte lang oder kurz sein, doch wenn sie kam, musste er in seinem Boot hier verschwinden.
    Marcelite und die Kinder kauerten in der Ecke und beobachteten ihn. Er wusste, dass ihr Schicksal von seiner Entscheidung abhing. Er war stark genug, um eine Chance zu haben, wenn der Wind wieder auflebte und ihn auf dem Weg in einen sichereren Unterschlupf überraschte. Aber wenn Marcelite und die Kinder draußen vom Wind erfasst wurden, starb er möglicherweise bei dem Versuch, sie zu retten.
    Wenn sie hier zurückblieben, starben sie vielleicht auch. Schweigend verfluchte er Gott, der darauf wartete, dass er die falsche Entscheidung traf. Marcelite schien seine Bedrängnis zu spüren. „Was ist los?“, fragte sie ihn, als er zu ihnen zurückkehrte. „Sind wir verloren?“Er sagte ihr die Wahrheit. „Willst du mitkommen?“ „Hast du darüber nachgedacht, mich zurückzulassen?“ Ihre Erwiderung überraschte ihn. Er runzelte die Stirn.
    In den vergangenen Stunden hatte er nur über den Sturm nachgedacht. Alles andere war in den Hintergrund gerückt. Sie hatte die Zeit gefunden, um über andere Dinge nachzugrübeln. „Wenn du mitkommst, muss es deine Entscheidung sein.“
    „Ich habe die Hölle bereits durchlebt.“ Sie sah ihm in die Augen. Es gab nichts, was sie ihm vorenthielt – alles, was sie dachte und fühlte, konnte er in ihrem Blick lesen. „Was sollte an diesem Sturm anders sein?“
    Er fragte sich, wie er je hatte glauben können, dass sie eine einfache Frau war, die auf seine Liebe und Führung angewiesen war.
    Er hörte zu, wie die anderen diskutierten. Der Wind nahm spürbar ab, und das Wasser ging zurück. Die Welt, die er aus dem Dachbodenfenster sah, stammte aus einem Albtraum. Der Anblick war so grauenvoll, dass der Verstand die Details nicht begreifen konnte. Doch der Albtraum nahm ein Ende. Und bis ein neuer Albtraum begann, war Zeit, um zu handeln.
    Als der Wind nur noch so stark war wie bei jedem anderen heftigen Sturm, kletterte Lucien aus dem Dachbodenfenster auf die Überreste der Verandaüberdachung. Das Dach gab unter seinem Gewicht leicht nach. Er spähte über den Rand und sah, dass das Boot ein Stück weit abgetrieben war. Das Beste wäre, möglichst nah am Boot ins Wasser zu springen und es dann an einer Stelle festzumachen, an der man Marcelite und den Kindern helfen konnte hineinzuklettern.
    Dupres und drei andere Männer waren bereits zu dem Logger gewatet, den sie in der Nähe angebunden hatten. Lucien hielt Ausschau nach ihnen, aber die Sicht war schlecht. Die Kirchenglocke schlug noch immer. Es klang nicht längerwie Totengeläut, die Glocke schien sie vielmehr in Sicherheit führen zu wollen.
    Er wartete, bis er sicher war, dass das Wasser ihn nicht fortspülen würde; dann schwang er sich über den Rand der Überdachung und ließ sich in die Wellen fallen. Wie zuvor war das Wasser eiskalt und aufgewühlt, doch es war inzwischen noch tiefer, sodass er nicht stehen konnte. Wie beim ersten Mal kämpfte er sich voran, bis er das Boot packen konnte.
    Ein riesiger

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