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Bis zur letzten Luge

Bis zur letzten Luge

Titel: Bis zur letzten Luge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richards Emilie
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goldener Mond erhellte den Himmel, als wollte er zeigen, was in jener Nacht vollbracht worden war. Schwarze Wolken zogen an ihm vorbei, allerdings mit weniger Zorn. Lucien beobachtete die Strömung; sie war noch immer zu reißend, um es schaffen zu können, aber jetzt war er sich sicher, dass auch das sich schnell ändern würde. Er hörte ein Rufen, und aus westlicher Richtung erkannte er, wie etwas in der Dunkelheit Gestalt annahm. Er sah, wie Dupres und die anderen den Logger zum Haus zogen.
    Als der Logger und Luciens Boot gesichert waren, kämpften die Männer sich gemeinsam ins Haus zurück. Ohne viele Worte versammelten sie oben ihre Familien und holten ihre Habseligkeiten. Octave verteilte die letzten Werkzeuge, die er mitgenommen hatte. Lucien nahm sich eine kleine Axt, um mögliche Blockaden aus dem Weg räumen zu können. Zusammengedrängt warteten sie auf den richtigen Moment, um zu gehen.
    Lucien betrachtete Marcelite mit den Kindern. Sie verriet ihre Angst nicht, hielt sie an sich geschmiegt, als könnte ihre Stärke allein sie vor dem Tod bewahren. Er malte sich aus, wie sie sie für immer so in ihren Armen hielt.
    Das Haus geriet ins Wanken, als wollte es sein Gleichgewicht wiederfinden. Draußen hallte die Kirchenglocke klarer, weil die heulenden Winde nachließen. Dupres trat zu Lucien. „In meinem Logger ist Platz für alle.“
    „Ich denke noch immer, dass wir unser Glück mit dem kleinen Boot versuchen sollten.“
    Die beiden Männer wünschten einander Glück. Zusammen mit den anderen gingen sie ein letztes Mal die Treppe hinunter und bildeten in dem gefluteten Haus eine Reihe, um den Frauen und Kindern in die Boote zu helfen. Marcelite war die letzte Frau, die nach unten kam. Sie trug Raphael. Angelle wurde von einem anderen Mann gebracht. Lucien überließ ihr den Jungen und streckte die Arme nach seiner Tochter aus. Dann führte er sie auf die Veranda. Raphael hielt sich an einem Stützpfeiler fest, während seine Mutter ins Boot kletterte; dann packte sie ihn und sicherte ihn an einem Sitz. Lucien küsste Angelle auf den Kopf und reichte sie Marcelite, ehe er selbst ins Boot stieg.
    „Haltet euch fest!“, brüllte er. Er griff nach dem Seil. Nun, da es fast zu spät war, um sich noch anders zu entscheiden, war er sich plötzlich unsicher. Nervös und länger als nötig fummelte er an dem Knoten herum. Zwar war die Flaute da, doch das Wasser war noch immer aufgewühlt und wirbelte in bösartiger Absicht herum, auch wenn es langsam zurückging.
    Hinter sich konnte er die anderen Männer rufen hören. Er drehte sich um und sah, wie der Logger von der Veranda aus startete. Die kleineren Männer hingen an Seilen und schwammen neben dem Boot her. Dupres hingegen, der größer als die anderen war, schien den Boden berühren zu können und zog das Boot in die Richtung, die er ausgewählt hatte.
    Ermutigt durch ihren Fortschritt, löste Lucien schließlich den Knoten. Als das Wasser das Boot in Richtung Golf trieb, nahm er sich die Riemen und fing an zu rudern. Zuerst kam er kaum voran. Panik ergriff ihn. Aber dann merkte er, dass sie sich Stück für Stück dem Klang der Kirchenglocke näherten. Kurz darauf fand er seinen Rhythmus und ruderte kräftiger, während er das Boot zwischen den Wellen hindurchbugsierte.
    Der Anblick der Welt, durch die sie sich bewegten, überstiegdie Grenzen ihrer Vorstellungskraft. Leichen trieben vorbei – von Menschen und Tieren. Einmal glaubte er, eine Hand zu sehen, die flehend erhoben war. Doch er war zu weit entfernt, um es mit Sicherheit sagen zu können. Verzweifelte Menschen schrien von Bäumen herunter, von Dächern, die durch die Wellen schwammen, aus den Fenstern der Häuser, die noch immer standen. Er verschloss die Augen vor dem Grauen und ruderte weiter.
    Je weiter sie sich vom Golf entfernten, desto weniger spürte er den Sog des Meeres. Einmal stieß Lucien mit dem Ruder gegen irgendetwas und hoffte, dass es der Boden war, aber beim nächsten Zug war es verschwunden. Als er gerade fürchtete, nicht mehr die Kraft zu haben, um ein gleichmäßiges Tempo aufrechtzuerhalten, berührte er mit den Rudern wieder etwas. Und danach gleich noch einmal. Er hörte auf zu rudern und prüfte mit einem Riemen, wie tief das Wasser war. Dann band er die Ruder fest, ehe er ins kalte Nass stieg. Es reichte ihm bis zur Brust, aber er konnte stehen.
    Jeder Windstoß war schwächer als der vorherige. Das Läuten der Glocke wurde langsamer. Marcelite rief ihm zu,

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