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Bis zur letzten Luge

Bis zur letzten Luge

Titel: Bis zur letzten Luge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richards Emilie
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umrissen. Der Schatten neigte sich weit nach rechts. Und während die Sonne weiter stieg, wanderte auch der Schatten immer weiter.
    Schließlich stand die Sonne an der richtigen Position am Himmel. Als Raphael sich aufrichtete, bemerkte er, dass seine Hände zitterten. Er stellte sich in die direkte Verlängerung des Schattens, allerdings ein ganzes Stück weiter – ungefähr an den Platz, wo der Schatten geendet hätte, wenn der Baum nicht abgestorben, sondern noch ganz wäre. Dann machte er acht Schritte nach vorn. Acht Schritte. Er erinnerte sich noch genau an die Zahl. Es war ihm so wichtig gewesen, dass Juan zufrieden war.
    Er wandte sich um, und seine Schulter zeigte zu dem verfallenen Stamm. Er machte acht weitere Schritte. Hier hättensich die Schatten von zwei Bäumen gekreuzt – wenn die Bäume noch immer gestanden hätten. Mit dem Baumstamm als Anhaltspunkt versuchte er sich vorzustellen, dass an der Stelle, an der er das Wurzelwerk gefunden hatte, ein Baum wuchs. Er passte seine Position ein bisschen an; dann drehte er sich wieder und starrte zum Horizont. Früher war in der Ferne zwischen den Bäumen, die dort gestanden hatten, eine Lücke zu erkennen gewesen. Jetzt waren alle Bäume verschwunden.
    Er schloss die Augen und stellte sich den Horizont vor, wie er damals ausgesehen hatte. Hoffnungslosigkeit erfüllte ihn. Den exakten Punkt auch nur um einen Zentimeter zu verfehlen war genauso, als würde man ihn um einen Kilometer verpassen. Dann konnte er graben und graben und würde nichts finden. Und wonach suchte er überhaupt? Nach den Erinnerungen eines Mannes, der wahrscheinlich im Sturm umgekommen war? Nach Dingen, die für Juan vielleicht von Bedeutung gewesen waren, für ihn selbst allerdings keinen Wert hatten?
    Seine Erinnerungen durchforstend, stellte er sich den Horizont vor. Die Lücke war leicht links gewesen. Er schlug die Augen auf und passte seine Position wieder an; dann machte er acht Schritte. Sorgfältig markierte er die Stelle mit Treibholz und holte seine Schaufel. Ganz leicht sank die Schaufel in den mit Muscheln übersäten Boden, bis Raphael ein großes Loch gegraben hatte, das ungefähr einen Meter tief und genauso breit war.
    Juan hatte ihm nicht verraten, wie tief er graben sollte. Doch Raphael konnte sich vorstellen, dass der Gegenstand, nach dem er suchte, weder zu nahe an der Oberfläche noch zu weit darunter versteckt lag. In dieser Tiefe war der Boden noch immer fest, aber wenn er weiter grub, würde er unweigerlich auf Wasser stoßen. Er schachtete das Loch noch dreißig Zentimeter weiter aus, bevor er sich auf die Fersen hockte,um über seinen nächsten Schritt nachzudenken.
    Schließlich beschloss er, den Weg noch einmal abzuschreiten. Er folgte demselben Plan wie zuvor und berechnete Schritte und Winkel anhand des alten Baumstammes. Dieses Mal kam er ein kleines Stück vor seinem ersten Loch zum Stehen. Doch der zweite Versuch, den Gegenstand zu finden, erbrachte dasselbe Resultat wie der erste. Den restlichen Nachmittag verbrachte er damit, einen Graben zwischen den beiden Löchern auszuheben. Als klar war, dass er nichts finden würde, gab er vollkommen erschöpft auf. Die Enttäuschung war nicht leicht zu verkraften.
    Es gab viele mögliche Gründe für sein Scheitern. Er hatte sich verschätzt, oder seine Erinnerung trog ihn. Vielleicht hatte der verrückte alte Juan hier überhaupt nichts versteckt. Oder Juan hatte den Hurrikan überlebt, war zurückgekommen, um seinen Schatz zu bergen, und war dann davongesegelt, ohne jemals wieder zur Chénière zurückzukehren. Denn aus welchem Grund hätte er wiederkommen sollen, nachdem sein Besitz vollkommen zerstört war?
    Den Kopf auf die Knie gelegt, machte Raphael eine kleine Pause. In der Ferne kreischten Möwen, und die salzige Luft, die er atmete, weckte die Sehnsucht nach der Vergangenheit. Er hatte Hunger, und wenn er heute Abend etwas essen wollte, musste er sich etwas suchen. Vermutlich konnte er noch wochenlang graben. Und selbst wenn unter der Erde etwas auf ihn wartete, bestand die Möglichkeit, dass er es übersah. Er betrachtete den Baumstamm, drehte sich dann um und blickte zum Horizont, wo einmal Bäume gestanden hatten.
    Er schüttelte den Kopf. Vielleicht hatten dort nie Bäume gestanden. Vielleicht war Juans Schatz auch nur ein Traum aus Kindertagen, ein Traum, an dem er festgehalten hatte, weil er ihm nach dem Tod seiner Mutter Trost gespendet hatte. Hatte er sich nicht auch an andere Träume

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