Bis zur letzten Luge
Zweimal war er befördert worden, zuletzt zum Leiter der Abteilung für Handelsverkehr. Unter Tims wachsamen Blicken war Étienne zuständig für den Handel.
Unter normalen Umständen wäre Étienne nicht so schnell vorangekommen, aber Lucien blieben keine Jahre mehr, um seine Mitarbeiter sorgfältig zu beurteilen und auszubilden. Er konnte nicht länger darauf warten, Aurores Ehemann in die Firma zu holen, also musste er über Alternativen nachdenken. Sie hatte keine ernsthaften Verehrer in Aussicht.
Aurore war genauso begehrt wie jede andere junge Frau, die das French Opern House besuchte. In der Familienloge machten ihr genauso viele junge Männer die Aufwartung wie ihren Freundinnen. Sie war wohlhabend und hatte einen guten Namen. Selbstverständlich gehörte die Familie Le Danois auch den besten Karnevalsorganisationen der Stadt an; eine äußerst ernste Angelegenheit in New Orleans. Lucien selbst war einst zum Karnevalsprinzen ernannt worden, die junge Claire zur Karnevalsprinzessin – eine Ehre, die man nur in New Orleans richtig zu würdigen wusste. Gekrönten Häuptern in Europa wurde vermutlich nur wenig mehr Bewunderung entgegengebracht.
Also gehörte Aurore der Oberschicht von New Orleans an und war zudem noch die Erbin einer großen Dampfschifffahrtslinie. Es hätte eigentlich unzählige Heiratsangebote geben müssen, doch Aurore hatte alle Verehrer entmutigt. Nie hatte Lucien erlaubt, dass sie sich seinen Plänen für ihr Leben widersetzte. Aber mittlerweile schrieben sie das Jahr 1906, und selbst der strengste Patriarch konnte eine Frau nicht dazu zwingen, gegen ihren Willen zu heiraten.
Konfrontiert mit einem Herz, das darum kämpfte, weiterzuschlagen,und einer eigensinnigen Tochter war Lucien gezwungen gewesen, einen Mann zu suchen, der jung, intelligent und ehrgeizig genug war, um Gulf Coast zu führen, wenn er einmal nicht mehr war. Étienne war der beste Kandidat dafür. Das Angebot, Aktien zu bekommen, das Versprechen, Tims Job übernehmen zu können, wenn der sich zur Ruhe setzte, ein Ausblick auf das Ansehen, das ihn erwartete, wenn er Gulf Coast zu seiner Lebensaufgabe machte – Lucien glaubte, dass Étienne sich mit der Aussicht auf diese Privilegien bereitwillig für das Unternehmen einsetzen würde.
Eines Nachmittags im späten Oktober wollte Lucien gerade das Büro verlassen. Er war länger geblieben als sonst, um ein paar Zahlen durchzugehen, die Étienne ihm gegeben hatte. Wie immer schien alles in bester Ordnung zu sein. Er nahm gerade Handschuhe und Hut, als es an der Tür klopfte. Er rief den Besucher herein und hoffte, dass es nicht lange dauern würde. Seine Haushälterin hatte ihm ein frühes Abendessen versprochen – frische Butterkrebse vom Französischen Markt.
„Monsieur Le Danois.“ Étienne wartete höflich in der Tür. Lucien winkte ihn herein. „Ich habe die Unterlagen durchgesehen. Es ist alles in Ordnung. Sie leisten großartige Arbeit.“
„Danke. Haben Sie sich schon Gedanken über den neuen Versicherungsplan gemacht, den ich vorgeschlagen habe?“
„Gulf Coast hat immer mit Fargrave-Crane zusammengearbeitet. Ich zögere, daran jetzt etwas zu ändern.“
„Das verstehe ich, Sir. Ich dachte nur, dass Sie vielleicht daran interessiert sind, eine stattliche Geldsumme zu sparen.“
Es gab eine Zeit, da hätte Lucien nicht über Étiennes Vorschlag nachgedacht. Es gab ein ungeschriebenes Gesetz unter den Eigentümern und der Geschäftsführung der großen Reedereien am Fluss: Die Männer bewegten sich in denselben gesellschaftlichen und politischen Kreisen, und sie fordertenLoyalität, auch wenn es manchmal kostspielig war. Im Gegenzug unterstützten sie einander, indem sie wegschauten, wenn die Zeiten schwierig waren. Oftmals war eine persönliche Garantie für Geldmittel genauso gut wie Geld in einem Banktresor.
Doch Étienne war nicht an die Moral dieses inneren Kreises gebunden. Mit Tims Einwilligung hatte er Kostenvoranschläge von neuen Versicherungsunternehmen eingeholt, nachdem er herausgefunden hatte, wie hoch die Summe war, die Gulf Coast zahlte, um die Flotte und die Fracht zu versichern. Lucien hatte der Suche nur zugestimmt, weil er sich derzeit Sorgen um die Finanzen machte. Zwar war er davon überzeugt, dass es richtig gewesen war, einen neuen Anleger zu bauen und der Hafenbehörde ein stattliches Darlehen zu gewähren. Und er war davon überzeugt, dass die Danish Dowager, das neueste und größte Schiff der Gulf Coast
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