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Bis zur letzten Luge

Bis zur letzten Luge

Titel: Bis zur letzten Luge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richards Emilie
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Eisenbahngesellschaft New Orleans Public Belt Railroad Gleise verlegte, dann liefen sie durch eine schmale Gasse und kamen auf einen riesigen Hof, wo Dauben gelagert wurden. Diese Fassdauben – eines der Produkte, die Gulf Coast nach Europa exportierte – wurden in den Ländern gebraucht, die Wein produzierten und in denen Holz zum Bau von Fässern ein rares Gut war. Manchmal fragte sie sich, ob in den Nordstaaten eigentlich noch Bäume übrig waren.
    „Es tut mir leid wegen Ihres Vaters“, sagte sie.
    „Danke.“
    „Warum das Reedereigeschäft? Und warum Gulf Coast?“ „Welche Geschäftszweige in New Orleans haben nichts mit Schiffen oder Reedereien zu tun? Und ich bin am Wasser aufgewachsen – Bahnverkehr und Schienen haben mich nicht interessiert. Warum verlegen wir Kilometer von Gleisen, wenn wir einen Fluss haben, der mitten durch das Land fließt? Man hat mir erzählt, dass der Fluss früher so stark befahren war, dass ein Mann kilometerweit laufen konnte, indem er einfach von einem Dampfschiff auf das andere trat.“
    „So war es tatsächlich, als ich noch ein Kind war.“ Sie machte einen Schritt zur Seite und wartete, als eine Ratte von einem Stapel Dauben zum nächsten huschte.
    „Wir hätten nicht hier entlanggehen sollen. Ihre Schuhe werden ganz schmutzig.“
    „Das ist doch der Sinn von Schuhen.“ Sie hob ihren Rock ein Stück weit an. „Ich beneide Sie, weil Sie jeden Tag hier arbeiten dürfen.“
    „Wirklich?“ Er klang skeptisch.
    „Sagen Sie mir nicht, dass Sie einer dieser Männer sind, der denkt, dass eine Frau nur an Kleidung interessiert ist?“
    „Dann machen Sie diese Führung, weil Sie tatsächlich sehen möchten, was hier los ist?“
    „Warum sonst sollte ich mich mit Ratten und Schlamm abgeben?“
    Er ging weiter und beschleunigte seine Schritte, als wollte er die Führung möglichst schnell hinter sich bringen.
    „Als Sie dann anfingen, für meinen Vater zu arbeiten, haben Sie unsere Namen nicht miteinander in Verbindung gebracht?“
    „Ich habe nicht bei ihm begonnen. Mein erster Job war es, an einer bestimmten Route Kaigebühren von den Schiffen einzusammeln.“
    „Und wie sind Sie von dem Job an diese Stelle gekommen?“
    „Eines Tages kam ich zu spät. Ein Schiff legte ab, ehe ich die Gebühren einsammeln konnte. Ich erfuhr, dass ein Dampfschiff aus der Flotte Ihres Vaters just in diesem Moment flussaufwärts fahren wollte. Also bot ich an, in Baton Rouge beim Abladen zu helfen, wenn ich dafür mitfahren durfte. Als ich dort ankam, fand ich das Schiff, strich die Gebühren ein und lud dann tausend Kisten mit Bananen ab.“
    „Und wie sind Sie wieder nach Hause gekommen?“
    Verschwörerisch senkte er die Stimme. „Ich bin auf einen Frachtkahn gesprungen, der flussabwärts fuhr, und habe die Nacht auf einem Baumwollballen verbracht. Ich bin gerade noch rechtzeitig gekommen, um am nächsten Morgen die Gebühren einzusammeln.“
    Sie lachte. „Sie haben mir allerdings noch immer nicht verraten, wie Sie an diesen Job gekommen sind.“
    „Ihr Vater hörte die Geschichte und kam auf mich zu. Er sagte, er wäre auf der Suche nach einem einfallsreichen und fleißigen jungen Mann.“
    „Und haben Sie gewusst, dass Lucien Le Danois mein Vater ist?“
    Er zögerte. „Ich habe es vermutet. Aber ich konnte nicht fragen – vor allem nicht, weil ich Sie nie getroffen hätte, wennSie nicht ohne das Wissen Ihres Vaters an die Bayous gefahren wären.“
    „Dann kennen Sie ein Geheimnis von mir. Und ich kenne eines von Ihnen.“
    Er blieb stehen und sah sie an. „Tatsächlich?“
    „Sicher. Ich kenne Ihre Vergangenheit.“
    „Tatsächlich?“, wiederholte er.
    „Ja. Sie sind Étienne, der messerschwingende Cajun vom Bayou Lafourche.“
    „Und was machen wir jetzt mit unserem Wissen?“
    „Wir hüten die Geheimnisse sorgfältig.“
    „Sorgfältig?“ Seine Augen waren dunkel, als würde er längst Geheimnisse bewahren. „Ist das nötig? Sie kommen nicht oft ans Flussufer. Und Ihr Vater wirkt nicht so, als wäre er geneigt, mich demnächst zum Dinner einzuladen. Ich bezweifle, dass sich unsere Wege oft kreuzen werden.“
    Er stellte Fragen so, als wären es keine. Vielleicht war es leichter, weil er so seine eigenen Absichten abstreiten konnte, wenn die Antwort nicht nach seinem Geschmack ausfiel. Doch Aurore ließ sich nicht täuschen. Er wollte wissen, ob sie sich noch einmal wiedersehen würden. Auch wenn er auf die Unterschiede zwischen ihnen hinwies und auf die

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