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Bis zur letzten Luge

Bis zur letzten Luge

Titel: Bis zur letzten Luge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richards Emilie
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Tanzveranstaltungen, den abendlichen Dinners und Bällen. Doch sie gehörte nicht zu diesen Frauen. Vielleicht wäre sie glücklicher gewesen, wenn ihr Vater ihr erlaubt hätte, das College zu besuchen. Aber Lucien sah keinen Sinn darin. Das Newcomb College erschien ihm unweiblich, mit seinen bloomers , den weit geschnittenen Pumphosen für Frauen, und seinem Schwerpunkt auf Leibesertüchtigung.
    Aurore blickte aus dem winzigen Fenster ihres Vaters und beneidete die Männer unten, die Knochenarbeit leisteten. Die Hafenarbeiter, die Tonnen von Bananen entluden, mussten sich vielleicht Sorgen über versteckte Taranteln oder giftige grüne Schlangen machen, die die lange Reise überlebt hatten. Doch zumindest hatten sie die Freiheit, nach der Arbeit zu tun, was auch immer sie wollten, und zu gehen, wohin auch immer sie wollten. Sie dagegen musste um jeden Atemzug, jede Meinung, jeden Traum kämpfen.
    Die Tür zum Büro ging auf, und sie drehte sich um, als siedie Schritte ihres Vaters hörte. Reglos stand sie da und starrte den Mann an, der mit ihm hereingekommen war.
    „Aurore, das ist Étienne Terrebonne, der neue Leiter der Abteilung Handelsverkehr.“
    Sie gab eine passende Antwort, ohne jedoch den Blick von dem Mann zu wenden, der neben ihrem Vater stand. Er trug einen klassischen blauen Anzug, wirkte aber trotzdem nicht herausgeputzt. In dem Anzug, mit dem gestärkten weißen Hemd und der gestreiften Krawatte sah er genauso männlich aus wie in dem groben Baumwollstoff, in dem sie ihn kennengelernt hatte.
    „Sie wünschen eine Führung?“, fragte er fast ohne Akzent.
    Erleichterung und Neugierde kämpften in ihr. Étienne hatte nicht darauf hingewiesen, dass sie sich schon einmal begegnet waren. Für sie grenzte es noch immer an ein Wunder, dass Lucien nichts von ihrem Besuch bei Ti’Boos Hochzeit mitbekommen hatte. „Ja, das wäre nett“, erwiderte sie. „Werden Sie mir das Gelände zeigen?“
    „Wenn Sie es wünschen?“ Er machte eine leichte Verbeugung.
    „Unbedingt! Es wird bestimmt faszinierend.“ Sie lächelte höflich, wie man es von ihr erwartete.
    „Étienne, ich möchte nicht, dass Miss Le Danois unangenehme Begegnungen erlebt.“
    „Ich habe die Leute schon benachrichtigt, dass ich Ihrer Tochter das Dock zeigen werde.“
    „Gut.“ Lucien wandte sich seiner Tochter zu. „Aurore.“ Sie war entlassen, und sie war froh darüber. Sie sprach erst wieder, als sie draußen auf der Straße waren. Étienne ergriff ihren Arm und zog sie näher ans Gebäude. Ein Güterwagen mit Kaffeesäcken fuhr vorbei. Er ließ ihren Arm nicht sofort los. Gemeinsam standen sie in den Schatten und blickten einander an.
    „Hallo noch mal“, sagte er schließlich.
    „Es muss einiges geben, das Sie mir erzählen möchten.“ „Was würden Sie gern wissen?“
    „Alles.“
    „Alles? Und eine Führung über den neuen Anleger?“ „Wir könnten die Führung auch ein anderes Mal machen.“ Zum ersten Mal, seit sie sich wieder vorgestellt worden waren, lächelte er. Ein Jahr war vergangen, doch sie erinnerte sich an die Wirkung dieses Lächelns. Eine vertraute Verbindung war geschaffen worden. „Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich meinen Platz in der Welt finden werde.“
    „Aber Sie haben nie erwähnt, dass es hier sein würde – im Unternehmen meines Vaters.“
    „Das wusste ich nicht.“
    „Und die Kleider?“ Sie machte einen Schritt zurück, damit sie ihn besser betrachten konnte. „Die makellose Ausdrucksweise?“
    „Meine Sprache war alles andere als perfekt, als ich hierherkam, doch ich lerne schnell. Und was die Kleider betrifft …“ Er zuckte die Achseln. „Sind sie so wichtig?“
    „Ich würde sagen, dass sie sogar sehr wichtig sind. Wenn Sie sich gekleidet hätten wie an den Bayous, wo wir uns kennenlernten, hätte mein Vater Sie vermutlich eingestellt, um die Schiffe zu entladen, aber niemals als Abteilungsleiter.“
    „Genau.“
    „Jetzt sagen Sie mir die Wahrheit. Warum haben Sie sich entschlossen, ausgerechnet hierherzukommen?“
    „Mein Vater ist gestorben, und ich habe herausgefunden, dass er eine stattliche Summe Geld zurückgelegt hat. Also habe ich es verwendet, um nach New Orleans zu kommen. Ich wollte unbedingt im Reedereigeschäft arbeiten. Es erschien mir wie die perfekte Lösung.“
    „Und wann war das?“
    „Gar nicht lange nach unserer ersten Begegnung.“
    Er machte sich auf den Weg zum Dock‚ und sie folgte ihm. Sie gingen über einen Platz, an dem die neue

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