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Bisduvergisst

Bisduvergisst

Titel: Bisduvergisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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liebte, war mit Händen zu greifen. »Sie wollten mir etwas erzählen«, setzte ich nach einer Weile wieder an.
    »Ja. Da haben Sie recht.« Irma streifte die Plüschpantoffeln ab, zog die Beine mit unerwarteter Gelenkigkeit an und begann, ihre Zehen zu massieren.

9
    Die Schnürstiefel fest an den Füßen treten wir zum Morgenappell an. Appell an der Fahne und Einteilung zur Arbeit. Du leidest, Lisa, deine feinsinnige Seele erträgt den tristen Anblick der grauen Baracken nicht. Dieses Geviert aus Mannschafts- und Führerbaracken. Ich schaue gar nicht mehr hin. Das ist mein Trick. Ich blende dieses kalte Quadrat einfach aus.
    Ich hasse den Frühdienst bei den Führerinnen. Einheizen, abstauben. Dabei ist das mit dem Einheizen so gut wie unmöglich, wir haben einfach kein vernünftiges Brennmaterial. Neulich habe ich keine Zeit mehr gehabt, die Schreibtische sauber zu machen. Da hat jemand am nächsten Tag mit dem Finger ›Schwein‹ in den Staub geschrieben. Bei den Führerinnen herrscht meistens ein ziemliches Chaos. In unserer Waschbaracke dagegen müssen die Zahnbürsten in eine Richtung schauen.
    Einmal war ich dazu abkommandiert, das Kleinkind einer Führerin zu betreuen. Die Kleine mochte mich, aber ehrlich gesagt, ich hoffe immer auf eine Arbeit, die mich für eine Weile aus dem Lager rausholt. Küchendienst in der Gastwirtschaft ›Knödel‹ zum Beispiel, das war ganz nett, auch wenn ich mir vorgenommen habe, mir eine Köchin anzustellen, später in Amerika. Aber noch ist es nicht so weit.
    Heute haben wir Glück, Lisa. Die Maidenoberführerin wählt uns aus. Wir dürfen die Dienstpost von Aidenbach nach München bringen. Du und ich, Lisa. Das nenne ich Glück. Denn die Mädchen, die auf dem Gymnasium waren, so wie wir, die kriegen oft die miesesten Arbeiten ab.
    Wir bekommen unseren Koffer mit den Briefen und ziehen los. Wir sind verlässlicher als die Post. Die ist tot, zerbombt, zerrüttet, die Wege sind unterbrochen, und der Himmel weiß, ob wir überhaupt bis München kommen. Aber fürs Vaterland müssen wir es versuchen. Fürs Vaterland tun wir doch alles, Lisa, stimmt’s?
    Draußen geht Wind, noch frisch, böig. Wir frösteln.
    Ach Lisa, Lisachen, wenn ich gewusst hätte … du bist die Ältere und Größere von uns beiden, 19 bist du, aber du verlässt dich nur auf mich.
    Wir müssen zu Fuß zum Bahnhof gehen, durch den Wald, es ist kalt, der Wind rüttelt an den Baumwipfeln, der Frühling sagt unterkühlt guten Tag, und seltsamerweise empfinde ich Seligkeit und Freude. Bald wird es richtig Frühling, und bald kommt das Ende und dann der Friede, und auch wenn wir nicht wissen, was die Sieger mit uns machen – irgendwie werden wir uns auf die neue Situation einstellen. Wir halten zusammen, dann kann nichts schiefgehen.
    Wenn ich gewusst hätte, was geschehen wird, Lisa, dann hätte ich Fieber vorgeschützt oder Zahnweh oder einen verknacksten Knöchel.
    Aber so traben wir durch den Wald, als wäre es ein normaler April. Ein kühler Frühling zum Verlieben. Nur, dass keine Männer da sind. Das stört. Ja, ja, Lisa, schon gut, du willst nicht, dass meine Geschichte so rüberkommt, als wären wir ständig auf Männerfang gewesen. Aber mit 18 und 19, da träumt man von der großen Liebe. Möchte geküsst und hofiert werden. Vor allem, wenn weit und breit kein ansehnliches Exemplar zu sehen ist. Nur der Franzose auf dem Michelbacher Hof, den mögen wir beide. Der ist fesch, so ein dunkler Typ, mit kräftigen Schultern und ganz schmalen Hüften. Als ich beim Michelbacher Bauern Dienst hatte, da habe ich mir den Franzosen genau angesehen, das kannst du glauben.
    Wir haben Glück und kriegen einen Zug. Zuerst den Bummelzug nach Vilshofen. Von dort fährt eine Bahn nach Plattling, allerdings mit Verspätung. Aber was heißt ›Verspätung‹ – es gibt ohnehin keine Fahrpläne mehr. Ein paar Leute müssen erst eine Leiche aus dem Zug raustragen, bevor wir abfahren können. Der Tod hat zurzeit wirklich eine Menge Arbeit. Die Frau ist einfach umgekippt, Herzschlag, sagt jemand, während die Bahre weggetragen wird, und eine andere Frau sagt mit kaltem Blick: »Die hatte Glück.« Dabei spritzt die Spucke aus ihrem Mund und ich wende mich ab.
    In Plattling ist erst mal Schluss. Kein Zug fährt. Wir sitzen im Wartesaal.
    Wo kommen nur die vielen Menschen her! Frauen allen Alters, Kinder, Greise. Zurückflutende Soldaten. Man möchte glauben, die Menschen hauen ab, graben sich in die Erde ein, wie jedes Tier

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