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Bisduvergisst

Bisduvergisst

Titel: Bisduvergisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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alter Mann mit verbranntem Gesicht und verbrannten Gliedern. Ich packe dich im Genick und drehe deinen Kopf weg, aber du wehrst dich, schaust auf die Leiche, noch im Weitergehen starrst du zurück.
    Dunkle Wolken ballen sich über den Ruinen. In der Luft ist Staub. Frauen schleppen Trümmer weg, um die Straße freizuräumen. Wir haben über 24 Stunden nicht geschlafen.
    Es beginnt zu tröpfeln. Ich hebe mein Gesicht in den Himmel und schmecke Staub und einen anderen, scharfen Geruch. Wir schleppen uns weiter, wischen uns die Tränen vom Gesicht. Halten uns bei den Händen und gehen und gehen. Ich überlasse es dir, den Weg zu finden. Du kennst die Straßen besser als ich. Ich denke, vielleicht ist es gut, dass so viele Menschen sterben, denn wo sollen die nachher noch wohnen. Habe ich das laut ausgesprochen, Lisa? Du siehst mich missbilligend an. Es ist nicht meine Schuld, Lisa. Ganz bestimmt nicht meine Schuld, dass hier alles in Trümmern liegt. Dass nichts mehr normal ist. Dass keiner mehr leben kann, nur noch existieren, durchhalten, kämpfen. Könnte eher deine Schuld sein, oder? Du hältst den Braunen doch die Stange, du glaubst an den Endsieg, oder verkohlt dein Glaube gerade in den Trümmern von München, wo kein Stein mehr auf dem anderen steht?
    Entschuldige, Lisa. War nicht so gemeint.
    Wir biegen in einen Innenhof ein. Das Rückgebäude steht noch. Wir klettern über Steine und Schutt. Das ist Deutschland, Lisa.

12
    Ich verließ Irmas Wohnung, stieg langsam die enge Treppe hinunter und trat auf die Straße hinaus. Es wurde dämmrig. Feucht legte sich die Treibhausluft auf mich. Ein Kostümierter mit einer Trommel vor dem Bauch huschte vorbei. Männer in Strumpfhosen sehen irgendwie seltsam aus, dachte ich.
    Irma konnte erzählen. Ohne je irgendwelchen Theorien über Plotaufbau und Figurensetting ausgesetzt gewesen zu sein, verstand sie es, ihre Zuhörer zu fesseln. Ein klein wenig beneidete ich ihre Generation. Sie hatte tatsächlich etwas Substantielles zu berichten, anstatt nur Emoticonschrott durch die Atmosphäre zu pixeln.
    »Guten Abend«, sagte jemand zu mir, »hier wohnt doch Irma Schwand?«
    Ich zog die Haustür hinter mir zu und sah mich nach dem Urheber dieses außerordentlich hochdeutsch ausgesprochenen Satzes um. Vor mir stand Cary Grant. Der Schwarm aller Frauen. Der Charmebolzen.
    »Schon, aber sie hat gerade Besuch. Etwas … Privates.«
    Flucht nach vorne. Meine Neugier trieb mich. Meine Neugier auf Cary Grant, den Mann mit dem tiefsitzenden Seitenscheitel und der ganz sacht zusammengezogenen Stirn, als befinde er sich für Nanosekunden im Zustand der Verwirrung.
    »Magnus Kreuzkamp. Redakteur hier bei unserem Klatschblatt.« Er lachte und reichte mir die Hand.
    »Kea Laverde«, sagte ich.
    »Eine Bekannte von Irma?«
    Ich nickte kurz. »Ja. Aus München.«
    »Aus München?« Er sah mich zweifelnd an.
    »Was ist los? Sind Sie zu einem Interview hier?«, fragte ich und zeigte auf den Eastpak-Rucksack, der ihm über der Schulter baumelte.
    Wir maßen uns mit Blicken. Der Mann wusste um seine Wirkung, kein Zweifel.
    »Leitner ist bei ihr, oder?«, fragte Kreuzkamp.
    »Was ist hier los?«
    »Ihre Enkelin ist tot.«
    »Julika? Um Himmels willen!«
    »Kennen Sie sie?«
    »Nein, das nicht, aber …« Mir schossen eine Menge Gedanken gleichzeitig durch den Kopf. »Tot?« So bekam Hauptkommissar Leitners abendlicher Besuch einen Sinn.
    »Vielleicht sollten wir irgendwo was trinken gehen«, schlug Cary Grant alias Magnus Kreuzkamp vor.

13
    Sie glaubt ihm nicht. Denn es kann nicht sein. Leitner ist längst gegangen. Sie mag ihn irgendwie, den Leitner Michel. Warum der nur Polizist geworden ist!
    Irma lehnt den heißen Kopf an das Fenster.
    Julika! Wo ist nur meine Julika, mein Mädchen, meine Enkelin, auf die ich warte wie auf …
    Zwei Edeldamen eilen die Gasse hinauf.
    Was hat der Leitner noch einmal gesagt? Die Julika kommt nicht wieder? Er muss sich täuschen. Die Julika ist doch extra nach Landshut gezogen. Aus Amerika zurückgekommen, zu ihr, zu Irma. Ich kann nicht die Julika auch noch verlieren. Warum schmerzt Schuld noch nach so vielen Jahren?
    Irma versteht das nicht.
    Manchmal sagt man doch, die Zeit heilt alle Wunden. Es stimmt. Ihre Ehemänner hat sie betrauert, sie hat gelitten, als sie starben. Bei beiden hat sie gelitten wie ein Tier. Aber nach einigen Jahren ging es leichter, und sie hat die Lebensfreude wiedergefunden. Doch Lisa … So schwer ist die Schuld, dass sie Irmas

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