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Bisduvergisst

Bisduvergisst

Titel: Bisduvergisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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zaghaft in ihre Richtung heben. Heute ist der erste Tag. Alle sind aufgeregt. Irma spürt die sanften Vibrationen der Vorfreude, wenn alles noch in der Schwebe ist. Noch keine Enttäuschungen, nur das Glück, dabei zu sein. Der Kirchler geht Arm in Arm mit seiner Frau. Die strenge, eifersüchtige Gerda. Irma weiß, sie drei haben einander in all den Jahrzehnten oft in den Haaren gelegen. Gerda hat im Fundus gearbeitet, mit Argusaugen die Kostüme bewacht. Die Kirchlers schauen weg, als Irma den Landtorplatz überquert. So ganz echt waren die ja noch nie, denkt Irma.
    Ihre Gedanken weben ein Netz. Diesen Tod habe ich nicht gewollt. Es tut mir so leid.

25
    An der nächstbesten roten Ampel rief ich Nero an. »Treffen wir uns heute Abend noch?«
    »Tut mir leid. Du kennst das. Wir arbeiten an der Mordaufklärung. Morgen kommt im Radio und in den Zeitungen ein Aufruf an potenzielle Zeugen, sich bei den Behörden zu melden. Dann geht das Chaos erst richtig los.«
    »Hängst du also nach wie vor in den Ermittlungen drin?«
    »Ich bearbeite nur die Computersachen.«
    »Stimmt etwas nicht?«, fragte ich.
    Seine Stimme klang ungewohnt kühl. Er war gestresst. Aber nicht nur. Ich kannte ihn gut genug. Wurde er mit dem Gefühl drohenden Chaos’ konfrontiert, geriet sein inneres Gleichgewicht ins Wanken. Nero war ein empfindsamer Mensch, den auch scheinbar harmlose Bemerkungen tief verletzen konnten.
    »Es ist viel zu tun.«
    »Na gut«, erwiderte ich. »Ich fahre nach Hause. Ruf mich an, wenn du magst.«
    Er legte ohne Gruß auf. Allerdings war ich in Gedanken zu beschäftigt, um mir Sorgen zu machen. Die Unterschwelligkeiten in einer Beziehung, die Schuldzuweisungen und prekären Rollenspiele, hatte ich jahrelang vermeiden wollen. Deswegen hatte ich mir lieber ab und zu einen Mann mit nach Hause genommen, um der Erotik nicht zu entsagen, aber die Verpflichtungen und Zwänge hinter mir zu lassen. Natürlich war mir klar, dass auch mit einem sanftmütigen Menschen wie Nero irgendwann der Moment kommen würde, da ich an der Komplexität der menschlichen Seele verzweifeln würde. Ich neigte dazu, meiner Gefühlswelt freien Lauf zu lassen. So wurden Pflöcke rechtzeitig eingeschlagen. Nero war der umgekehrte Fall. Er unterdrückte seine Empfindungen so lange, bis er als menschlicher Dampfkochtopf dermaßen unter Druck stand, dass er barst und mit seinem unerwarteten Gefühlsausbruch die Welt verschreckte.
    Ich fuhr über die Autobahn nach Hause. Als ich Ohlkirchen durchquerte, musste ich an Juliane denken. Sie wohnte in der Ortsmitte in einer kleinen Wohnung. Ich hatte seit Tagen nichts von ihr gehört. Ich sollte sie dringend anrufen.
    Meine Grauen schnatterten fröhlich, kaum dass ich auf mein Grundstück einbog. Ich streute ihnen frisches Futter hin, mehr aus dem schlechten Gewissen heraus wegen meiner häufigen Abwesenheit als aus Notwendigkeit, denn die Weide ernährte die beiden Prachtexemplare wie ein Füllhorn.
    Eifrig widmete ich mich Irmas Karton. Ich fand eine Menge undatierter Fotos, quadratische Winzlinge mit weißen, gezackten Rändern. Zuerst trennte ich die beschrifteten von den unbeschrifteten Aufnahmen. Bald hatte ich einen kleinen Stapel von gut zwei Dutzend Bildern, auf deren Rückseiten in stets der gleichen strengen Handschrift Namen geschrieben waren. Die meisten zeigten Irma als junges Mädchen. Eine kleine, energische Person mit dunklem Haar und durchtriebenem Blick, der die Kamera nicht scheute. Auf einem anderen Foto stand Irma, in den Zwanzigern, mit einem Baby im Arm vor einer Haustür. ›Elisabeth und Irma‹ stand da. Dann gab es noch ein Foto, auf dem Irma als Teenager verwegen grinsend neben einem etwa gleichaltrigen Mädchen zu sehen war, das Irma selbst beinahe um Haupteslänge überragte. Ich hielt die Aufnahme ins Licht. Das andere Mädchen war eine von jenen zarten Schönheiten, die zerbrechlicher wirkten als Kristall. Ein schmales Gesicht, nach hinten gekämmtes, von einem Tuch gehaltenes, langes, rötlich-blondes Haar. Ein schüchterner und ebenso verführerischer Blick. ›Lisa und Irma‹ entzifferte ich die Notiz. Das also war Lisa. Kein Nachname. Ich durchwühlte die aussortierten Fotos nach Lisas Konterfei und wurde fündig. Es gab einige Bilder von ihr, meist zusammen mit Irma, auch einmal mit einer Frau, die Irma sehr ähnlich sah. Dann Lisa mit einem jüngeren Mädchen, und schließlich Irma, Lisa und ein Junge, kaum älter als die beiden.
    Ich brühte Kaffee auf und überlegte. Es

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