Bisduvergisst
ließen sich nicht einfach auftauen, wie Kreuzkamp es nannte. Viele Menschen hatten sich einfach zu gut im Griff. Es kam darauf an, den richtigen Moment abzupassen und das eine und einzige Thema zu servieren. Eines, das die Seele rührte. Dann sprudelten sie los.
»Gehen wir?« Ich hatte mich aus meiner halb liegenden Position auf Kreuzkamps buntem Kissen aufgerappelt.
»Sie sind wirklich dynamisch«, sagte Kreuzkamp, während er seine Sachen zusammenschob und achtlos unter den Tisch rutschen ließ. So ging ich mit meinen Arbeitsmaterialien nicht um. Bei mir war alles akribisch geordnet. Kein Wunder, dass er mit seinem Projekt nicht vorankam.
28
Bajuwarisch geradlinig. So würde ich den Mann beschreiben, der vor mir in seiner Haustür stand, in ausgeleierten Hosen und einem blitzsauberen, weißen Hemd unter den Hosenträgern.
»Was wollt’s?«
Seinen Hof hatte er mit Sicherheit im Griff. Stockrosen blühten vor dem Haus. Irgendwo hörte ich Kühe muhen. Über allem lag der Duft von Landleben und befriedigender Arbeit, die man mit den Händen verrichtete und nicht mit den Fingern auf einer Tastatur.
»Servus, Kirchler«, sagte Kreuzkamp. »Hast du ein paar Minuten?«
»Nein.« Er bohrte die Hände in die Hosentaschen. Ein glattes Gesicht, sorgsam rasiert. Eine Hakennase, freundliche, wachsame Augen. Jemand, der sich zum Überlegen noch Zeit nahm. Das weiße Haar stand borstig um seinen Kopf. »Ich hab zu tun. Siehst doch, was hier los ist. Auf einem Hof ist nie Ruhe. Kein Feiertag. Das Vieh braucht dich. Mein Sohn ist mit seinen Kindern bei der Probe. Alte Tradition, weißt ja. Die Kirchlers schicken schon die Jüngsten in die Turnabteilung. Trainieren für die Menschenpyramide. Mein Enkel Lukas macht dieses Jahr die Turmspitze, ist gerade mal 12 Jahre alt. Also, was willst du?« Sein Blick wanderte von Kreuzkamp zu mir. Er musterte mich von oben bis unten, nicht wertend, eher, als wolle er sich einen möglichst umfassenden Eindruck verschaffen. Ich konnte nur hoffen, dass Kreuzkamp sich an unsere Abmachung hielt und über meine Ghostwritertätigkeit für Irma kein Wort verlauten ließ.
»Ich arbeite immer noch an meinem Buch«, begann Kreuzkamp.
Kirchler zog die Augenbrauen zusammen. »Vergiss es. Aus mir kriegst du nichts raus. Ich habe dir nichts zu erzählen.«
»Darum geht’s mir nicht. Ich suche eine andere Landshuterin. In etwa in deinem Alter, Kirchler.«
Der Alte lachte laut: »So?«
»Lisa«, sagte Kreuzkamp. »Sie heißt Lisa.«
»Sagt mir nichts.« Kirchler trat einen Schritt zurück in den dunklen Flur. Ich wäre ihm gerne nachgegangen. Die Sonne versengte mein Gesicht und meine Arme. Wenn sie sich zwischen den Wolken Respekt verschaffte, wurde es unerträglich heiß.
»Aber Irma kennt sie«, mühte sich Kreuzkamp. »Komm schon …«
»Herr Kirchler«, begann ich. Diese Nullnummer konnte ich mir nicht länger anschauen.
»Wer sind denn Sie? Seine neue Flamme? Hat alle naselang eine andere, der saubere Herr von der Zeitung.«
»Nein. Ich bin Erbenermittlerin. Ich kümmere mich darum, dass Erben von Menschen, die scheinbar keine Nachkommen haben, aufgespürt werden und zu ihrem Recht kommen.«
Er sah mich misstrauisch an. Ich hatte keine Ahnung, wie weit diese Geschichte mich tragen würde. Erbenermittlung, du liebe Güte. Lisa war ja tot, wenn es stimmte, was Irma gesagt hatte. Sie konnte also nichts erben, und zu vererben war bestimmt seit Jahrzehnten nichts mehr. Aber ich war mit Kreuzkamp übereingekommen, Kirchler nicht unter die Nase zu reiben, dass wir wussten, dass Lisa tot war. Wenn dieser Bauer mit dem Sonntagshemd unter den Hosenträgern nicht gesprächsbereit war, mussten wir die passende Herausforderung finden, mit der wir ihn zum Reden brachten. Ein paar Köder konnten nicht schaden.
»Da kommen Sie zu mir, ja?« Er lachte. »Erbe ich was?«
»Nein. Sie nicht, aber … nun, diese Informationen unterliegen der Diskretion«, salbaderte ich. »Dennoch würden Sie mir weiterhelfen, wenn Sie mir Auskunft über Lisa und ihre Familie geben würden.«
Eine Frau kam über den Flur geeilt. Eine kleine, zierliche Person, leicht gebeugt von den Jahren. »Gustav? Was ist?«
»Die Herrschaften wollten gerade gehen«, sagte Kirchler, drehte sich um und ließ uns stehen.
»Herr Kirchler?«, rief ich ihm nach.
»Warum lassen Sie ihn nicht einfach in Ruhe?«, beschwerte sich die Alte bei Kreuzkamp. Sie trat zu uns in die Sonne. »Er will nichts erzählen. Wir sind froh, dass wir
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