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Bisduvergisst

Bisduvergisst

Titel: Bisduvergisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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vergessen haben. Da waren zu viele schreckliche Dinge. Wer will noch darüber sprechen, nach all den Jahren?«
    »Aber Sie haben nichts vergessen. Ihre Erinnerungen sind nur verschüttet«, sagte Kreuzkamp.
    Du lieber Himmel, plumper ging es nicht mehr.
    »Mein Name ist Kea Laverde. Grüß Gott, Frau Kirchler.«
    Ich schüttelte ihr die Hand. Sie sah verunsichert zwischen mir und meinem westfälischen Kollegen hin und her. »Ich bin Erbenermittlerin. Ich suche Verwandte von Verstorbenen, die keine Nachkommen hatten … oder sagen wir so, von denen niemand weiß, ob sie nicht doch Erben haben. Irgendwo in der Welt. Und so bin ich nach Landshut gekommen. Ich habe die Information, dass eine gewisse Lisa – Elisabeth, nehme ich an – hier gelebt hat. In Ihrem Alter, wenn Sie erlauben.« Ich schenkte ein Lächeln her, wie ich es von Juliane gelernt hatte. Meiner beherzten Freundin fraßen die Leute aus der Hand, wenn sie strahlte wie der berühmte Honigtopf.
    »Lisa?«
    »Können Sie mir nicht wenigstens einen Hinweis geben?« Ich spielte ganz die verzweifelte Retterin aller Hilflosen. »Sie erinnern sich sicher an Lisa. Ein hübsches Mädchen, groß, aufgeschossen, mit langem Haar. Ich habe erfahren, dass sie eine gute Freundin von Irma Schwand war.«
    »Gerda?«, hörte ich die Stimme ihres Mannes von drinnen. Irgendwo knatterte ein Traktor.
    »Aber Lisa ist tot«, murmelte sie.
    »Gerda?«
    Kreuzkamp öffnete den Mund, aber ich hob die Hand. Halt bloß die Klappe!
    »Kennen Sie Lisas Familiennamen?«, fragte ich atemlos. Ich hörte Kirchlers Schritte über den Flur kommen. Dann klingelte im Haus ein Telefon. Die Schritte zogen sich zurück.
    »Lisa, die war nicht aus Landshut«, sagte Gerda Kirchler.
    Ich sah verstohlen zu Kreuzkamp, der sich ein Handy ans Ohr hielt. Clever war er!
    »Sie hieß Halbwachs. Elisabeth Halbwachs. War oft zu Besuch bei der Irma, über Jahre. Die beiden waren die besten Freundinnen, wie Schwestern. Enger noch. Sie waren sich selbst genug. So sagt man, ja?« Gerda Kirchler streckte ihren gebeugten Körper. Nun ging sie mir bis zur Nase. Ihre Augen kamen mir seltsam farblos vor. »Jeden Sommer kam die Lisa hierher. Wir haben sie gehänselt. Sie hatte so eine weiße Haut. Schon damals habe ich den Gustav gemocht«, sie lachte, als sei ihr das peinlich, »aber ich dachte, er interessiert sich nur für die Lisa. Die war die Schönste von allen, ein Wesen aus einer anderen Welt. Sie kam aus München. Gehänselt haben wir sie, weil sie so schnell einen Sonnenbrand bekam. Weil sie Schuhe trug, mitten im Sommer, wo wir alle barfuß über die Felder rannten. Die Lisa, ja. Aber Irma hat sich immer vor sie gestellt, die hat nicht zugelassen, dass irgendjemand der Lisa ein Haar krümmte.«
      »Sie kam aus München, sagen Sie?«
    »Der Vater ist im Krieg geblieben. Irgendwo in Russland.«
    Halbwachs, der Name musste etwas hergeben. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Kreuzkamp sein Handy in die Jeanstasche schob und mir verschwörerisch zugrinste.
    »Aber Sie haben dann doch den Gustav bekommen«, sagte ich lächelnd zu Gerda Kirchler.
    Nachdenklich sah sie mich an. »Ja. So war das. Mehr kann ich nicht sagen.«
    »Wie ist Lisa gestorben?«
    »Das war noch im Krieg. Da sind die Leute gestorben wie die Fliegen. Manche in letzter Minute. Die haben sechs Jahre durchgehalten, und dann bekamen sie Lungenentzündung oder …« Sie brach ab.
    »Lungenentzündung?«
    »Gerda?«, tönte Kirchlers Stimme aus dem Flur zu uns.
    »Danke, Frau Kirchler«, sagte ich und drückte ihre schmale, eiskalte Hand. »Sie haben mir weitergeholfen.«

29
    Lebendig begraben, Lisa.
    Dir verdanke ich mein Leben.
    Etwas mehr als 24 Stunden später werde ich zum undankbarsten Menschen auf diesem Planeten geworden sein.
    Die Detonation schleudert uns von der Holzbank. Ich stürze in die Scherben der Karbidlampe. Plötzlich ist alles still. Nur das Pfeifen in meinen Ohren hält an.
    Bin ich taub?
    Neben meinem Gesicht spüre ich etwas Warmes. Die Wände über uns bewegen sich wie ein gewaltiges Tier. Der Marder hat den Weg nach draußen längst gefunden. Ich muss husten, etwas tut furchtbar weh dabei. Endlich reißt der Einäugige ein Streichholz an. Ich blinzle, sehe im schwachen Lichtschein die Soldaten, sehe dich, Lisa. Einer rüttelt an der Kellertür. Die Tür ist blockiert, und wie auf Kommando drehen sich eure Köpfe. Ihr blickt auf den Durchbruch in der hinteren Wand. Da könnte es rausgehen. Vielleicht. Die Angst macht die

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