Bisduvergisst
aus dem Beutel klauen kann, kann auch was reinstecken. Und dann der Tatort: Denn der Fundort ist der Tatort, kein Zweifel. Warum hat niemand die beiden gesehen? Das Opfer und den Mörder? Hat er damit gerechnet, dass die Abflussrinne verstopft war und der Treppenaufgang kurz davor stand, sich in einen Wasserfall zu verwandeln? Kein Wunder bei dem Mistwetter. Oder hat der Mörder das alles akribisch geplant?«
»Mörder denken nicht unbedingt. Sie kommen mit halbgaren Plänen und geraten ins Hintertreffen, weil irgendwo Zeugen herumlaufen oder etwas anderes nicht klappt.«
»Klar.« Elke reckte das Kinn. »Gibst mir mal eine Zigarette, Leitner?«
Er lachte und hielt ihr eine Handvoll Selbstgedrehte hin.
»Nur eine«, wehrte sie ab.
Er gab ihr Feuer. Zündete sich selbst eine an.
»Unser LKA-Mann hält es für unwahrscheinlich, dass Julika Kontakte zur organisierten Kriminalität hatte. Er meint, Frauen kommen in Beziehungen oft zwangsläufig in die Situation, ihre Männer zu decken, ohne es zu merken«, sagte Leitner.
Elke zuckte die Achseln. »Der LKA-Typ ist doch völlig verwirrt. Irgendwas stimmt mit dem nicht.«
»Ja. Der ist in Gedanken ständig woanders.«
»Wahrscheinlich Liebeskummer.« Die Rechtsmedizinerin pustete den Rauch in Leitners Richtung. Ihr Gesicht verlor Farbe. Er drehte sich um. Die Sonne war nun fast über den Horizont geglitten. Ein Rest rot-goldenen Lichtes schwebte über den Bäumen.
»Ich bin ja lange weggewesen aus Landshut«, fuhr Elke fort. »Zu lange, wenn ich so drüber nachdenke. Aber eine Geschichte gilt nach wie vor zur Landshuter Hochzeit.«
»Welche?«
»Als Ritter – mit Turniersieg – hast du gute Chancen bei den Mädchen.« Sie lachte keck. »Als Geistlichkeit spielst du in einer anderen Liga.«
Leitner unterdrückte ein Husten: »Das sind die alten Späße. Das Turnier bietet gute Gelegenheiten.«
»Inklusive einen heimlichen Wettbewerb. Ein Liebesturnier.« Elke zwinkerte. »Wer die meisten Mädchen flachlegt. Die Männer gewinnen nach Punkten.«
»Hatte Julika Sex, bevor sie umgebracht wurde?«
»Nein.«
»Du meinst, sie wollte nicht und der Kerl hat sie deshalb in die Pfütze gedrückt?«
»Denkbar, oder?« Elke schnippte ihre Kippe ins Grüne. »Egal, aber schau dich mal um bei den attraktiven Kerlen unter den Rittern und Knappen. Da findest du vielleicht den einen oder anderen, der ein Auge auf Julika geworfen hat. Sie war ein hübsches Mädchen, sehr jung, sehr natürlich. Passte gut in die Rolle der Spielfrau.«
»Deine Mutter könnte mir die Arbeit erleichtern.«
»Meine Mutter?«
Leitner grinste. »Sie weiß doch, wer mit wem, oder?«
Elke Winterling streckte sich rücklings auf dem Pick-up aus. »Ich kümmere mich drum. Morgen.«
36
Von jeher hatte ich eine Schwäche für Haidhausen. Dieser Stadtteil kam mir jedes Mal wie eine andere Welt vor, wenn ich durch das Münchner Chaos gekurvt war. Wie ein Dörfchen, dem nur noch der Maibaum fehlte. Umso sympathischer war mir, dass Helga Geraldy, Lisas Cousine, dort lebte. Mit 90 in der eigenen Wohnung. Eine Frau, die ich unbedingt kennenlernen musste, um herauszufinden, wie man es anstellte, im Alter selbstständig zu bleiben.
Kurz nach 17 Uhr klingelte ich im Erdgeschoss eines Hauses in der Metzgerstraße. Ein rollstuhltauglicher Eingang ohne Türschwelle. Helga Geraldy wartete auf mich am Ende eines langen Korridors. Sie stützte sich auf einen Rollator und lächelte mir zu. Ihre braunen Augen verschwammen hinter immensen Brillengläsern. Die Arme, mager und blau geädert, ragten aus einem schwarzen T-Shirt, an dem sie eine Ginkgo-Brosche festgesteckt hatte. Sie trug Jeans. Jeans! Mit 90! Ich fühlte mich ihr sofort nah.
»Grüß Gott, Frau Geraldy. Ich bin Kea Laverde. Wir haben telefoniert.«
»Geraldy.« Der Druck ihrer knotigen Hand war fest. »Kommen Sie herein. Ein kühler Tag heute, das tut mir gut. Ich komme mit der Hitze nicht zurecht.«
Ihr weißes Haar war kurz geschnitten, so wie Julianes, aber lockig. Sie machte eine leichte Kopfbewegung in ihre Wohnung. Ich trat ein. Ein großes Zimmer, spartanisch eingerichtet mit zwei Sesseln, Anrichte, Fernseher. Ein Esstisch mit vier Stühlen. Nicht ein Bild hing an der Wand.
»Ich brauche nicht mehr viel. Kommen Sie, setzen Sie sich.«
Aus den Wohnungen alter Menschen kannte ich ganze Ahnenreihen – Fotos, die Ehepartner, Kinder, Kindeskinder, manchmal Generationen von Katzen und Hunden zeigten. Bei Helga Geraldy dagegen herrschte
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