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Bisduvergisst

Bisduvergisst

Titel: Bisduvergisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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Minimalismus. Vielleicht war sie nie verheiratet gewesen.
    »Ich interessiere mich für Ihre Cousine Lisa Halbwachs«, sagte ich, nachdem wir ein paar Floskeln über das Wetter und den Verkehr ausgetauscht hatten. »Es geht eigentlich darum, dass ich die Biografie von Irma Schwand schreibe. Sie war …«
    »Irma! Mein Gott, wie lange habe ich nichts von Irma gehört.« Helga ließ den Rollator los und setzte sich erstaunlich anmutig auf einen Stuhl. »Ich bin ja nun um einige Jährchen älter als meine Cousine. Als Lisa geboren wurde, kam ich gerade in die Schule. Ich war unter meinen Geschwistern die Zweitjüngste. Deswegen war ich selten an der Reihe, auf Lisa aufzupassen. Das mussten meine Schwestern machen. Wir waren vier Schwestern und ein Bruder. Alle kurz hintereinander geboren.«
    »Wie war Lisa so?«
    »Sie hatte den Kopf in den Wolken. Ein Träumerchen. Möchten Sie etwas trinken?«
    »Nein, danke.«
    »Gut, dann muss ich nicht aufstehen.« Sie lachte und ihre Züge verzogen sich zu einem frechen Lausbubengesicht. »Die Nazi-Ideologie war genau etwas für Leute wie Lisa. Die Lieder, die Lagerfeuer, die ganze Romantik … darauf ist Lisa hereingefallen. Sie wollte nichts anderes hören. Hat sich in Hitler verliebt. Schauen Sie nicht so! Als Autobiografin möchten Sie die Wahrheit hören, oder? Da gibt es so ein Alter, in dem verlieben sich Mädchen in einen Filmstar oder einen Actionhelden. Heutzutage stehen einige zur Verfügung. Ziemliche Tölpel. Gibt es überhaupt noch gut aussehende Männer mit Umgangsformen? Ich weiß nicht, warum diese Gattung ausgestorben ist.«
    »Vielleicht haben die emanzipierten Frauen sie verjagt«, warf ich ein und kam mir schlau und witzig vor.
    »Unsinn! Wenn die Männer klug gewesen wären, dann hätten sie uns bei unseren Bemühungen um mehr Rechte unterstützt und es hätte keinen Grund gegeben, sie als Spezies von der Bildfläche zu fegen.« Sie wies auf ihre kahlen Wände. »Ich war nie verheiratet. Keine Kinder. Aber wissen Sie, ich war gern allein. Ich mochte es. Und ich mag es heute noch. Ich kann niemanden für mein Glück oder mein Unglück verantwortlich machen.«
    Ich nickte. Mit spontanen Einwürfen sollte man bei Helga Geraldy vorsichtig sein.
    »Lisa hat die braunen Ideen in sich aufgesaugt wie ein Schwamm. Als hätte sie nur auf etwas gewartet, woran sie glauben konnte. Wie soll ich Ihnen das erläutern. Sie … war so verträumt. Sie träumte sich eine perfekte Gesellschaft nach Naziwünschen. Hing sehr an ihrem Vater, war aber stolz, als er 1939 an die Front zog. Er wurde sofort eingezogen, mein Onkel Georg. Ich habe geweint, ich mochte ihn. Er war ein lustiger Kauz, der uns Kindern oft etwas vorzauberte. Münzen aus Nase oder Ärmel zog.«
    »Lisa hat nicht geweint?«
    »Nun, vielleicht hat sie geweint. Seit dem Tag, da ihr Vater ging, hatte sie so einen traurigen Ausdruck in den Augen. Im Lauf des Krieges wurde sie immer ängstlicher. Aber dann lernte sie Irma kennen.«
    »Irma aus Landshut?«
    »Irma aus Landshut. Lisas Mutter war durch die Kriegsumstände und die beständige Sorge um ihren Mann sehr geschwächt. Sie hatte eine Freundin aus der Schulzeit, Irmas Mutter. So fuhr sie mit Lisa in den Sommerferien nach Landshut und die beiden Mädchen freundeten sich an. Später, als es in München verheerend zuging, schickte sie Lisa ganz nach Landshut.«
    »Kannten Sie Irma persönlich?«, fragte ich.
    »Aber ja. Sie war einmal bei Lisa in München zu Besuch. Lisa war mächtig stolz. Sie bewunderte Irma. Vergötterte sie geradezu. Wurde eifersüchtig, als Irma mich zum Abschied umarmte. Sie wollte, dass Irma ihr gehörte. Ihr ganz allein.« Helga Geraldy musterte mich kritisch. »Rauchen Sie?«
    »Manchmal.«
    Sie stand auf, ging ein paar wackelige Schritte auf dünnen Beinen. Nahm eine Schachtel Philip Morris aus der Anrichte, ein Feuerzeug, einen Aschenbecher.
    »Ich habe geraucht, bis ich 60 wurde. Dann aufgehört. 1979. Aber nur pro forma. Ich dachte, ich sollte etwas für die Gesundheit tun. Nun gönne ich mir seit einigen Jahren zwei Zigaretten am Tag. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.« Sie gab mir Feuer, mit zitternder Hand, aber in einer ebenso grazilen Geste, mit der sie alle Bewegungen ausführte.
    »Irma vermittelte Lisa wahrscheinlich Sicherheit«, nahm ich den Faden wieder auf.
    »Natürlich tat sie das. Irma hat sich nie abschütteln lassen. Sie fand immer einen Weg! Sie setzte sich Ziele und kämpfte, bis sie sie erreicht

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