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Bisduvergisst

Bisduvergisst

Titel: Bisduvergisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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mir alles, was ich über Alzheimer wissen musste. Ich überflog die einzelnen Informationen, bis ich zur Quintessenz fand: dem Verlust eines Menschen. Sein Körper blieb, sein Ich verschwand. Und irgendwann baute auch der Körper ab. Blieb der Schluckreflex weg, half nur noch die Magensonde.
    Vielleicht hätte ich es gar nicht so schlecht getroffen, wenn ich damals auf dem Sinai umgekommen wäre. Trotz der Schwüle überlief mich ein Schauder. Da kam die Sehnsucht nach der Schulter hoch, an der ich mich im Notfall festhalten wollte. Das war ganz gewiss nicht die von Cary Grant. Höchstens die von Juliane, aber ich hatte keine Chance; meine herzgeliebte Adoptivmutter würde den Abgang machen, bevor ich Alzheimer bekam, so viel war klar.
    Mein Telefon klingelte. Ich dachte mit Schrecken an die Kundin, die mir die Buddha-Diät anvertraut hatte. Aber es kam noch schlimmer: Nero.
    »Elisabeth Halbwachs«, begann er, ohne ein Wort der Begrüßung, »geboren am 27.12.1925 in München. Die Mutter hieß Franzi Halbwachs, geborene Salzacher, der Vater Georg Halbwachs. Vermisst seit 1943. Die Mutter, Jahrgang 1900, starb 1987. Elisabeth starb am 3. April 1945. Sie ist ertrunken.«
    »Ertrunken?« Mein Gesicht brannte. Ich hatte zu lange in der Sonne gelegen.
    »Steht hier.« Nero schwieg.
    »Danke«, sagte ich halbherzig. »Wo sind die beiden begraben?«
    »Auf dem Münchner Nordfriedhof, aber das Grab wurde 1997 aufgelassen.«
    »Und gibt es Verwandte?«
    »Kea, du machst mich wahnsinnig.«
    »Aber darauf kommt es mir an! Dass beide tot sind, das weiß ich …«
    »Franzi Halbwachs hatte keine weiteren Kinder. Aber eine ältere Schwester namens Sieglinde, und die hatte fünf Kinder, vier Mädchen und einen Jungen. Der Junge kam auch nicht heim. Ist 1939 in Polen gestorben. Von einem Unbekannten mit einem Messer angegriffen und getötet.«
    »Lisas Cousinen!« Ich machte mir Notizen. »Wie hast du das rausgekriegt?«
    »Ich habe jemanden gebeten, es herauszukriegen. Ich kenne ein paar Leute.«
    »Danke! Wie heißen die Cousinen und wo finde ich die?«
    »Liebe Kea, die Damen sind alle zwischen 1915 und 1920 geboren.«
    »Leben sie noch?«
    »Nur eine. Helga Geraldy. Jahrgang 1919. Versuch dein Glück.«
    Er gab mir eine Münchner Adresse durch. Ich bedankte mich noch einmal. Wie artig ich war!

34
    Wir sind entkommen. Durch den Schlund des zusammenstürzenden Hauses sind wir entkommen. Du, Lisa, ich, der einäugige Soldat und der, der mir den Druckverband gemacht hat, der sich allmählich rot färbt. Wir taumeln durch die Stadt, wieder ganz auf uns gestellt, und du suchst einen Arzt, der meine Wunde am Arm nähen kann, aus der ununterbrochen das Blut pulst. Es ist Nacht, Lisa, wo willst du einen Arzt finden? Einen, der hier ist, der noch lebt? Wo ist ein Krankenhaus? Wo ist jemand, der mir helfen will? Die Dienstpost hat mich umgebracht, Lisa. Doch ich hatte nie vor zu sterben. Du kommst aus der Großstadt. Aber ich bin aus einer kleinen Stadt, und dort hat man umso größere Träume.
    Ich will leben. Will die Träume erleben, Lisa, meine liebe Lisa, will doch die Träume wahr machen. So wie du. Auch wenn unsere Träume verschieden sind. Ich träume von einem Amerikaner und du vom Führer, aber dennoch, dennoch …
    Also, sagst du, dann reiß dich zusammen und lauf!
    Ja, Lisa, in Ordnung, ich laufe ja, ich laufe, obwohl meine Ohren pfeifen, obwohl ich so schwach bin, so schwach wie nie. Obwohl der Hunger mich ganz schwindelig macht. Unsere mitgebrachten Brote vom Lager sind längst aufgegessen. Und der Staub, den ich mit jedem Atemzug schlucke, der Rauch und der Gestank, die trocknen mich aus.
    Du nimmst mich am gesunden Arm und führst mich. Du kennst dich ja aus. Findest vielleicht das Krankenhaus, falls es noch steht. Findest vielleicht jemanden, der diese Wunde nähen kann, bevor gar kein Blut mehr in mir ist.
    Da steht eine Frau vor mir. Eine Frau, die mit dir spricht, Lisa, und du beugst dich zu mir und brüllst mich an, damit ich dich höre, das ist die Frau vom Doktor, sagst du, sie näht die Wunde. Und warum nicht der Doktor selbst, frage ich, verzweifelt bemüht, meinen Kopf gerade zu halten. Warum nicht der Doktor? Der ist nicht hier, sagt die Frau. Sei tapfer, Kleines, das schaffen wir.
    In meinem Arm brennt Feuer. Rote Glut. Ich schreie wie am Spieß und du hältst mich fest, Lisa. Du hast richtig Kraft, viel mehr, als ich je gedacht hätte. Die Frau des Doktors holt einen Splitter nach dem anderen aus meinem

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