Bisduvergisst
sie.
»Gustav«, antworte ich ihm. Er stutzt.
»Irma?«
Aber er sieht dich an. Ihr kennt euch. Klar, wenn du bei mir zu Besuch warst, haben wir auch den Gustav getroffen. Der Gustav ist der Nachbarsjunge, der meiner Mutter manchmal im Garten hilft. Nur ein halbes Jahr jünger als ich. Immer haben wir zusammengesteckt.
Gustav klettert zu uns in den Graben.
Du schaust ihn voller Angst an.
Der Gustav, Lisa, ist ungefährlich. Du kennst ihn doch!
»Was tust du hier, Gustav?«, frage ich.
»Und was machst du hier?« Er schaut auf dich, Lisa, mit Augen, die im Dunkeln leuchten. Spricht mit mir und schaut dich an. Das kennen wir zur Genüge, oder?
»Hast du geschossen?«, frage ich. Bekomme Angst, denn wenn nicht der Gustav geschossen hat, wer dann?
»Kaninchen«, sagt er kurz.
Ich bin überrascht. Habe den Eindruck, der Schuss sei aus der anderen Richtung gekommen. Nicht von der Straße, auf der Gustav entlangkam, sondern aus dem Wald, hinter uns. Aber ich kann meinen Ohren nicht trauen. Und so nicke ich nur.
»Dann lass uns weiterfahren, Irma«, bettelst du mich mit furchtsamem Blick an.
»Die haben uns heimgeschickt«, sage ich zu Gustav. »Wir sind seit Tagen unterwegs. Erst mussten wir Dienstpost aus dem Lager in Aidenbach nach München bringen, dann kamen wir zurück, und die Maidenführerin hat die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen.«
»Ja, es stürzt alles ein«, nickt Gustav, sieht nur dich an. Wir sind beide ziemlich ramponiert, du, Lisa, und ich auch. Wie ausgehungert müssen die Männer sein, dass sie an solchen Jammergestalten Gefallen finden.
Ich rappele mich hoch und reiche dir die Hand. Du ergreifst sie, flehend beinahe.
Da kommt der nächste Schuss.
Gustav reißt uns zu Boden.
Kaninchen, was?
»Haltet den Schnabel!«
Ich lande mit dem Gesicht neben einer Pfütze. Du fällst neben mich, Lisa, ich sehe dich heute noch da ausgestreckt, wie du den Kopf hebst und anfangen willst zu schreien. Ich sehe, wie deine Lippen sich öffnen, und ich presse deinen Kopf auf den Boden. Sei nur still, du Verrückte, sei still! Irgendwas stimmt hier nicht, besser, die finden uns nicht. Denn was die im Schilde führen, das wird mir schlagartig klar, während ich Gustavs Gesicht mustere. Er liegt an deiner anderen Seite. Ich drücke immer noch meine Hand auf deinen Kopf. Spüre dein weiches, seidiges Haar zwischen meinen schmutzigen Fingern. Schrei nicht, sei ruhig. Ich brauche deine Ohren, ich höre zu schlecht, kann keine Schritte ausmachen, keine Stimmen, mein Kopf will platzen vom Fieber, und ich zittere vor Kälte.
Die Henkertrupps ziehen durch den Wald, um alles zu erschießen, was sich entfernt von dort, wo es dem Führer noch nützlich sein könnte. Aber dem ist niemand mehr nützlich, der lebt nicht mehr, und ob ich das mit dem Feld der Ehre glauben soll … vielleicht hat endlich einer von den Leuten um ihn den Mut gefunden … ein General, ein Diener, eine Sekretärin, eine Köchin.
Der Schüttelfrost bringt mich um. Mit aller Kraft bäumst du dich auf, Lisa, aber ich halte deinen Kopf. Sei still. Sei nur still. Die sollen uns nicht finden, sonst bringen die uns auch noch um, und wer weiß, zu wem der Gustav gehört. Man kann nie wissen, und so kurz vor dem Ende noch weniger als sonst.
Dann kommt ein weißes Licht auf mich zu, und ich stürze ab, in eine zärtliche, wunderbare Ohnmacht.
52
Wir fuhren in meinem Wagen. Ich war gern unabhängig. Außerdem traute ich keinem mehr. Außer Juliane. Ich versuchte, sie zu erreichen, während ich den Wagen durch das prächtige Grün nach Niederaichbach steuerte. Keine Chance. Bei Dolly zu Hause meldete sich niemand.
»Verdammt«, murmelte ich und warf mein Handy aus alter Gewohnheit auf den Beifahrersitz. Direkt in Kreuzkamps Schoß.
»Na, na«, grinste er.
Ich lachte. Er war nett. Er war o. k. Er konnte ja nichts dafür, dass er aussah wie Cary Grant, der Schwarm aller Frauen.
»Sorry, ist ein Reflex.« Ich bog von der Autobahn ab.
»Ja, so was kommt vor.«
Natürlich konnte er nicht einfach die Klappe halten. Manche Menschen sonderten in einem fort Kommentare ab. Hielten sich für geistreich. Kreuzkamp ließ lässig sein Fenster herunter. »Wissen Sie, was mich erstaunt?«, sagte er in den Fahrtwind hinein.
»Sagen Sie es mir.«
»Dass Sie mich noch nicht auf ihn angesprochen haben.«
»Auf wen?«
»Auf den großen Cary.«
»Kenne ich nicht.«
Er lachte. »Au Backe, da habe ich aber eine ganz sensible Stelle erwischt.«
Ich fuhr
Weitere Kostenlose Bücher