Bisduvergisst
rechts ran. »Steigen Sie aus. Das Taxi, das Sie nach Landshut zurückbringt, geht auf meine Rechnung.«
»He!« Er sah richtig erschrocken aus. »Sie können mich nicht mitten in der Botanik aussetzen!«
»Doch. Kann ich. Habe ich schon öfter gemacht. Sparen Sie sich Fragen nach Details.«
»Sie sind ja verrückt.«
Wir maßen uns mit Blicken. Ich gewann. Bisweilen kamen ungeahnte Kräfte in mir hoch.
»Wir fahren gemeinsam nach Niederaichbach und suchen das Forsthaus, von dem Linda erzählt hat«, bestimmte ich. »Wir sehen uns um, ob wir auf etwas stoßen, das Julika vielleicht wichtig gewesen ist. Das ist unser Dienstauftrag. Witzchen, Erotika und so weiter sind nicht eingeschlossen.«
Kreuzkamp schmollte, bis wir nach Niederaichbach kamen. Wir kurvten ein wenig herum und fragten schließlich eine Frau, die auf High Heels den Gehweg entlangstöckelte, nach dem ominösen Forsthaus.
»Fahren Sie an der Kreuzung Richtung Landshut«, schlug sie vor. »Wenn Sie das Kernkraftwerk sehen, geht’s links in den Wald. Wollen Sie das Haus kaufen? Zeit würde es. Es verfällt immer mehr. Schöne Ecke da unten, für eine Familie wie geschaffen.«
»Danke bestens«, sagte ich und gab Gas. Kreuzkamps Schmunzeln ging mir durch Mark und Bein.
»Das muss es sein«, sagte er wenige Minuten später. Rechts glitzerte die Isar in der Sonne, und das Atomkraftwerk am anderen Ufer steuerte zu dem ganzen Panorama etwas Morbides bei.
»Hier?«
Auf der linken Seite der Straße erstreckte sich ein dicht bewaldeter Hügel. Tief in die Schatten geduckt lag ein altes Haus, verfallen, mit herabhängenden Fensterläden, einem an einigen Stellen eingebrochenen Dach und der Aura eines Spukschlosses.
»Hier könnte man eine bayerische Version von ›High Noon‹ drehen«, murmelte ich. »Gruseliger geht’s nicht.«
Hupend überholte uns ein Wagen aus dem Dorf.
»Biegen Sie endlich ab. Die Zufahrt sieht ja halbwegs ordentlich aus«, schlug Kreuzkamp vor.
Ich lenkte meinen Alfa vorsichtig über eine schmale Brücke aus hölzernen Bohlen, die einen Graben überdeckten. Im schlammigen Boden vor dem Haus fanden sich eine Menge Reifenabdrücke.
»Hier ist was los«, sagte ich. »Kommen Sie, bevor die Schauerhütte zusammenbricht, wenn man etwas zu heftig ausatmet …«
Wir stiegen aus. Ich meinte, irgendwo eine Mundharmonika zu hören. Sah zu viele Filme. Der Nervenkitzel für meine Einsamkeit in meiner Klause.
Die Haustür war abgeschlossen.
»Ein neues Schloss«, sagte Kreuzkamp halblaut. »Schauen Sie sich das an. An dieser Bruchbude!«
»Soll alles vorkommen«, antwortete ich. In meinem Kopf begannen sich die Räder zu drehen. »Was jetzt?«
Wir sahen einander an. In Kreuzkamps Mundwinkeln kräuselte sich ein Lächeln. In stillem Einvernehmen gingen wir um das Haus herum.
»Im Film hätten wir längst unsere Colts gezogen«, murmelte er. Die Fensterläden auf der Rückseite des Hauses, die auf einen dicht bewaldeten Hang ging, waren hergerichtet und verschlossen.
Probeweise rüttelte ich an einem. »Dicht wie eine U-Boot-Luke.«
Kreuzkamp ging ein paar Schritte auf den Hang zu und sah zurück. »Im ersten Stock sieht es weniger hermetisch aus. Wollen wir es da probieren?«
Ich trug Sneakers und eine Jeans, dazu ein leichtes Leinen-Top. Allerdings wog ich um einiges mehr als Kreuzkamp. Ich hatte keine Lust, vor ihm den nassen Sack zu geben, der nicht einen einzigen Klimmzug schaffte. Aber der spröde Ostwestfale schien sich in diesem Augenblick schon mit der konkreten Durchführung seiner Turnübung befasst zu haben. Ehe ich es mich versah, glitt er an einer marode aussehenden Dachrinne hinauf.
»Waren Sie in Ihrem früheren Leben Fassadenkletterer?«, rief ich.
Er hockte auf einem Fenstersims im ersten Stock und machte sich am Fenster zu schaffen. Mit einem trockenen Knack ließ es sich öffnen. »Bis gleich, Frau Laverde.« Er kroch ins Haus.
Ich fröstelte. Es lag nicht nur an der feuchten Kühle des Waldes und dem langen Schatten, den der Hang warf. Mir gefiel dieser Ort nicht. Am Atomkraftwerk, dessen Dampfschwaden senkrecht in den Himmel stiegen, konnte es nicht liegen. Ich war der Auffassung, dass nicht nur Menschen, sondern auch Orte ein Gedächtnis besaßen, das Gefühle, Ereignisse und Absichten jener Menschen spiegelte, die sich dort aufgehalten hatten. Dieses alte Forsthaus strahlte etwas Bösartiges aus. Als hätten hier nur kleinliche, rücksichtslose Menschen in geistiger Enge gelebt.
»Frau Laverde?«,
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