Bisduvergisst
Außerdem muss Julika etwas gegen ihn in der Hand gehabt haben. Sie halten das nicht für wahrscheinlich, oder? Vielleicht haben wir mit Hallhuber auch nicht den richtigen Vogel in den Käfig gesperrt.« Nero drückte die halb aufgerauchte Zigarette aus. »Mein Szenario geht so: Julika Cohen brauchte Geld. Und suchte sich eine passende Einnahmequelle.«
»Könnte hinkommen«, sagte Leitner. »Wir haben ihr Konto gecheckt. Da waren nur 200 Euro drauf.«
»Sie ist eine aufgeweckte junge Frau. Will studieren. Wen sie kennt, das wissen wir nicht. Mit wem sie so herumzieht. Aber nichts spricht dagegen, dass sie Kontakt zur Szene fand und für die Herrschaften ein paar Hilfsdienste übernommen hat.«
»Fantasie, Keller.«
»Ja, noch. Aber wir haben in diese Richtung nicht ermittelt.«
»Kollegin Asien hat ihre Anrufe gecheckt. Julika hat einige Male eine Prepaid-Nummer angerufen. Guatemala.«
»Her damit.«
Leitner trat auf den Korridor und kam kurz darauf mit einem Stapel Papiere zurück. »Schauen Sie sich das an. Yoo Lim sagt, sie kriegt nicht raus, wer das andere Ende der Leitung ist.«
»Ich kümmere mich drum.«
»Mir gefällt Ihre Methode nicht«, sagte Leitner zögernd. »Ich sammle lieber Spuren und reime mir dann die Geschichte dahinter zusammen.«
»Ein rein induktives Vorgehen. Spricht nichts dagegen«, entgegnete Nero. Leitner tat ihm leid. Dass sein Verdächtiger um ein Haar abgenippelt wäre, hatte ihm einen Schock versetzt. »Deduktiv ist aber auch ganz gut. Von einer Annahme ausgehen und sehen, was dazupasst.«
Leitner hustete anhaltend.
»Machen Sie, was Sie meinen. Ich erkundige mich nach dem Hallhuber.« Er hievte seinen schweren Körper hoch und ging zur Tür, als Yoo Lim hereinstürmte.
»Elizabeth Cohen ist da«, sagte sie. »Ihr Flieger kam pünktlich in München an. Sie sitzt im Besprechungszimmer.«
»Dann muss ich das wohl zuerst erledigen.« Leitner seufzte tief. Ein außerirdischer Hustenanfall folgte.
Nero sah dem Kollegen nach. Sein Gesicht war ganz grau geworden.
51
Es wird wieder Abend und wir sitzen immer noch auf unseren Rädern.
Ich habe aufgegeben zu zählen, wie oft wir abgesprungen sind, um den Tieffliegern zu entkommen. Damit lebe ich besser, habe das Fieber unter Kontrolle. Es schüttelt mich vor Kälte in den nassen Sachen. Jedes Mal, wenn wir wieder aufs Fahrrad steigen, muss ich dir helfen, über die Querstange zu klettern, dich anschieben und dir dann nachkommen. Es wird dunkel, und ich reibe mir beim Fahren die Augen. Die brennen so sehr vom Fahrtwind, das halte ich kaum noch aus. In einem Dorf gibt uns eine Frau Brot und Milchkraut, sie schaut auf meinen Verband, durch den wieder das Blut dringt, aber sie tut nichts, sie sagt, sie könnte kein Blut sehen. Ich müsste fragen, ob sie Verbandszeug hat, und selber den alten Verband abmachen und einen neuen anlegen, aber ich bin zu erschöpft, ich kann kaum denken. Wo sind die Amerikaner, kommen die wirklich? Oder war das eine Falle, um zu sehen, was wir tun werden?
Aber dann wird im Radio gemeldet, dass der Führer auf dem Feld der Ehre gefallen ist. Wir sehen uns an, alle drei. Keine sagt ein Wort.
Lisa und ich, wir wollen weiter. Die Frau sagt, seid’s vorsichtig, Dirndln, draußen treibt sich allerhand Gesindel herum. Wollt’s net bleiben, hier bei mir? Aber wir wollen nur nach Hause.
Es beginnt zu regnen, als wir das Dorf verlassen.
Irgendwann, gegen Morgen, kommen wir auf Landshut zu. Ich erkenne vertraute Biegungen der Straße, Feldwege, die abzweigen, in den Wald führen. Ich lehne mich zurück, will dir zurufen, bald sind wir da, Lisa, da knallt ein Schuss, so laut, so nah, dass sogar meine dröhnenden Ohren schmerzen.
Die Fahrräder hinschmeißen, von der Straße runter und in Deckung gehen ist eins.
Wir kauern im Graben. Sehen uns um, nichts passiert. Wir wagen es, die Köpfe in die Luft zu strecken. Hörst du was, frage ich dich, aber du sagst nichts, schaust verängstigt, und dann zeigst du auf die Straße hinauf. Da kommt jemand. Du wackelst mit den Fingern, trip trap. Ich kneife die Augen zu schmalen Schlitzen. Da läuft einer, ein Mann, der trägt eine Mütze und schultert ein Gewehr, und ich kann nicht mehr, ich will endlich heim.
Der Mann sieht unsere Räder, er bückt sich und späht in den Graben, das Gewehr locker im Anschlag.
Dann sieht er unsere weißen Gesichter.
»Wer ist da?«, ruft er halblaut.
Die Stimme kenne ich. Verzerrt kommt sie in meinen Ohren an, aber ich kenne
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