Bismarck 01
schwankte, das herrliche Kommerslied an: »Auf dem Schlosse zu Gradezko«. Erhebend drang die Kunde durchs offene Tal, wo die vier lustigen jungen Leute in einer Gastwirtschaft ihren Gefühlen keinen Zwang antaten: »Slibowitz soff Fürst Bibesco, bis er schwer besoffen war.« Aber Otto Bismarck war niemals besoffen. – –
Das zweite Semester verlief wie das erste in dulci jubilo und feuchter Fidelitas. Mit der juristischen Wissenschaft, um deren Minne er werben sollte, unterhielt Otto eine so entfernte Bekanntschaft, daß sein Verhältnis zu ihr ein gespanntes wurde.Diese alte Jungfer mit spitzer Nase und Brille hatte es ihm nicht angetan, ebensowenig freilich ein anderes Frauenzimmer. Seine blutadeligen Instinkte bewogen ihn gerade erst recht, in ein minder vornehmes Korps einzutreten, dessen Farben er mit Gladiatorenstolz trug, wenn er dem Gegner einer anderen Couleur eine blutzapfende Abfuhr verabreichte. Die Reihe dieser liebenswürdigen Darbietungen schwoll unheimlich an. Gäste aus Jena, die das studentische Handwerk grüßen kamen, summierten ihre sachkundige Anerkennung: »Besonders wie er die Terz nachzieht, ist ein tadelloser Genuß.« Seine Parade an sich sei mäßig, doch wie er durch die Parade des Gegners breche und immer auf Attacke aus sei, habe den schönsten Stil. Daneben lernte er boxen nach der erprobtesten Methode von seinen amerikanischen Freunden und vernachlässigte nicht die Ausübung dieser schönen Künste denjenigen jugendlichen Philistern gegenüber, die seine Großspurigkeit krumm nahmen.
»Du wirst auch im Leben ein tüchtiger Boxer sein«, urteilte der keimende Historiker Motley, indem er ihn sinnend betrachtete. »Was willst du eigentlich werden?«
»Weiß ich's! Am liebsten Trapper in Kanada. Ich bin der geborene Hinterwäldler. Auf dem Penal spielten wir immer Pflanzer und Indianer im Tiergarten, und ich war Apachenhäuptling und ließ mich foltern am Marterpfahl. Das war eine Gaudi. Meine Frau Mutter hat dolle Rosinen im Kopp, ich soll Diplomat werden. Haha, daß ich nicht lache! Seh' ich wie so 'n Stänker aus, der immer lügt und schwindelt und die Dümmeren hineinlegen will, wobei er meist selbst der Dumme ist? Ich Diplomat! So 'ne Idee!«
Motley lächelte fein. »Man kann nie wissen. Es fällt mir ein, daß Bonaparte immer jammerte, man habe ihn zum Soldatenberuf gepreßt, zu dem er am wenigsten tauge. Lügen ist nicht obligatorisch, nur fakultativ. Talleyrand log sehr gut, das ist die niedere Elementarschule, aber die beiden Pitt, Vater und Sohn, waren Choleriker, denen die Sprache gegeben war, ihre Gedanken nicht zu verbergen. Und die haben's viel weiter gebracht. Das war die hohe Schule.«
Otto lachte laut. »Nach Begriffen der guten alten Zeit hab' ich die beste Vorschule hinter mir und mein Examen cum laude bestanden.«
»Wie das? Von deinem Studium wissen die Götter nichts, studiert als edle Wissenschaft hast eigentlich nur das Saufen.«
»Das ist's ja eben!« Der lange Märker schüttelte sich vor Vergnügen. »Früher tranken die Herren Diplomaten sich feierlich untern Tisch, und wer unten lag, von dem erpreßte man seine werten Geheimnisse und sogar Unterschriften, von denen er nach verflossenem Brummschädel nichts mehr wußte. Die Technik brächte ich auf eine hohe Stufe. Außerdem konnte man seine diplomatischen Gegner fordern und so außer Gefecht setzen.So 'ne Kavalier-Diplomatik wär nach seinem Gusto. Aber heut in unsern zahmen Zeiten – fauler Zauber!« –
Die erschütternde Kunde lief um, daß der gewaltige Pauker aus der Altmark zum ersten Male einen Schmiß erhielt. Ein Chargierter aus Bonn hatte einem Göttinger Korps, mit dem das seine auf Kartell stand, eine solenne Visite abgestattet und bei der Anstandskneipe von einer Reise nach Paris geprahlt. Dort allein herrsche der feinste Ton, worauf Otto mit krähender Stimme persiflierte: »'s gibt nur a Kaiserstadt, 's gibt nur a Wien.« »Was soll das Herr Bruder?« schnarrte der Bonner hochherab. »Wollen Sie provozieren? Sie fixieren mich schon lange.« »Ich mag so'n Quatsch nicht hören, die Pariser sind lauter Lausejungen.« »Und Sie sind ein Kalb.« Darauf die schönste Kontrahage. Weil er aber aus Geringschätzung des feinen Herrchens im ersten Gang fertig werden wollte, mißriet ihm ein Ausfall und er bekam eins auf die linke Backe durch ein abspringendes Stück Klinge. Der Seniorenkonvent erklärt übrigens den »Blutigen« für ungültig nach strengem Paukkomment. –
»Ich habe nun
Weitere Kostenlose Bücher